Liebe Leserinnen und Leser,
die Einheit der Christen gehört zu den in vielen Predigten und Kirchentagsreden beschworenen Zielen der modernen Jesusjünger. "Alle sollen eins sein" - so lautet auch der Wunsch, den Jesus kurz vor seinem Tod in den johanneischen Abschiedsreden äußert (Johannes 17,21). Schaut man aber auf die Kirchengeschichte, so scheint der Drang zur Einheit nur all zu oft einer zur Verurteilung Andersdenkender neigenden schismatischen Tendenz unterlegen zu sein.
Die Zertrennung ereilte schon die früheste Kirche. Gerade eben durch das Wirken des Heiligen Geistes am 50. Tag nach der Auferstehung Jesu Christi entstanden, ist die kirchliche Einheit schon früh durch den Streit um die Heidentaufe bedroht. Das Apostelkonzil, von dem die Apostelgeschichte (Apg 15,1-35) und der Galaterbrief (Gal 2,1-10) berichten, bringen eine erste Klärung. Aber schon die Reaktion des Petrus in Antiochien zeigt, dass er Streit noch lange nicht beigelegt ist (vgl. Galaterbrief 2,11-14). Paulus, der sich bei dem Apostelkonzil zu einer Kollektensammlung in den von ihm begründeten heidenchristlichen Gemeinden für die judenchristliche Jerusalemer Urgemeinde verpflichtet hatte, sieht sein Werk wenige Jahre später grundsätzlich in Gefahr. So bittet er am Ende seines letzten von ihm erhaltenen Schreibens:
Ich bitte euch, meine Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn, und bei der Liebe des Geistes: Steht mir bei, und betet für mich zu Gott, dass ich vor den Ungläubigen in Judäa gerettet werde, dass mein Dienst in Jerusalem von den Heiligen dankbar aufgenommen wird. (Römerbrief 15,30f)
Die Kollekte war Zeichen der Einheit zwischen Heiden- und Judenchristen. Nehmen die Judenchristen die heidnischen Gabe, die aus ihrer Sicht unrein ist, nicht an, ist die Einheit der an Christus Glaubenden nicht mehr als ein frommer Wunsch.
Die Antwort auf die Frage, ob die Gabe in Jerusalem angenommen wurde, bleibt offen. Man kann vermuten, dass sie angenommen wurde - mehr nicht. Faktisch wurde die Frage der Einheit von Juden- und Heidenchristen historisch entschieden. Nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. verloren die wenigen judenchristlichen Gemeinden, die es noch im judäischen Bergland gab, an Einfluss. Die Kirche wurde endgültig zu einer Kirche der Heiden.
Damit war die Geschichte der Uneinheit aber nicht zu Ende. Wenn nicht weniger als die Wahrheit auf dem Spiel steht, sind Kompromisse nicht möglich. Die nächste große Krise wurde durch den Arianerstreit ausgelöst. Arius vertrat die Meinung, Jesus sei nur Mensch, kein Gott. Die Frage war alles andere als belanglos, denn sie hat Auswirkungen für die Frage der Erlösung: Ist Jesus kein Gott, sondern nur Mensch, dann ist lediglich ein besonderer Mensch durch Gott von den Toten auferweckt worden. Aber was ist dann mit den vielen anderen? Was ist mit uns?
Kaiser Konstantin berief 325 n. Chr. ein Konzil nach Nicäa ein. Dort traf man die Entscheidung, Jesus Christus sei wahrer Mensch und wahrer Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Wer das nicht glaubt, der ist ausgeschlossen (anathema sit). Diese Entscheidung wurde von Konstantin persönlich getroffen. Die Einheit der Kirche wurde teuer erkauft und war doch nicht endgültig.
Wenige Jahre später musste erneut ein Konzil einberufen werden. 381 n. Chr. trat das Konzil von Konstantinopel zusammen. Das Konzil sollte den Arianerstreit endgültig klären. Vor allem aber ging es auch um die Frage der Dreifaltigkeit, insbesondere um die Frage um die Gottheit des Heiligen Geistes. Das Konzil traf die Entscheidung, dass der Heilige Geist Gott sei und aus dem Vater hervorgehe. Diese von den östlichen Bischöfen bevorzugte Formel konkurrierte mit der der westlichen Bischöfe. Nach ihnen geht der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn (filioque) hervor. Diese Formel wurde 447 n. Chr. auf der Synode von Toledo bestätigt. Sie beinhaltet gegenüber dem Bekenntnis des Konzils von Konstantinopel nur ein Wort mehr - eben jenes berühmte filioque. Dieses eine Wort wurde neben dem Primatsanspruch des Bischofs von Rom zu einer der wichtigsten Ursachen für das morgenländische Schisma, das 1054 zur Trennung von römisch-katholischer und orthodoxer Kirche führt.
Ein weiterer tiefer Bruch der Einheit der Kirche wurde durch die Folgen der Reformation herbeigeführt. Ihre Ursachen sind vielfältig und weitgreifend und keineswegs nur theologisch begründet. Die politischen Folgen der Unfähigkeit der Kirche, den reformatorischen Ansatz zu integrieren, waren im wahrsten Sinn des Wortes verheerend. Erst ein 30 Jahre währender Krieg zwang die Parteien an den Verhandlungstisch und schaffte einen Frieden, der die Uneinheit der Kirche besiegelte.
Die Geschichte der Kirche scheint eine Geschichte der Zertrennung zu sein. Der Wunsch Jesu aus dem Evangelium vom 7. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C ist wohl doch nicht mehr als ein frommer Wunsch:
Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. (Johannes 17,21-23)
Da kann man doch froh sein, römisch-katholisch zu sein. Wenigstens diese Kirche hat mit ihrer einheitlichen Liturgie, dem einheitsstiftenden Auftrag des Papstes und dem in diesem Amt verbürgten universalen Lehramt den Auftrag zur Einheit bewahrt.
Nun droht aber in der katholischen Kirche ein neues Schisma ganz eigener Art. Die Aufteilung der Welt in Kleriker und Laien ist an sich nichts Neues. Laien werden grundsätzlich als Nichtkleriker definiert, so wie es jetzt wieder der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner vor dem Kölner Diözesanrat der Katholiken getan hat. So gibt die Kölner Kirchenzeitung ihn mit folgenden Worten wieder:
"'Der Laie darf nicht zum Kleriker werden und umgekehrt!' Heute sei es doch vielfach so, dass die Laienverbände Forderungen stellten, die dem Lehramt zukämen. Die Folge sei, dass die Kirche gelähmt sei. Dabei würde das Laienapostolat 'dringen gebraucht'." (Kirchenzeitung Köln, 19/13, 10. Mai 2013, S. 9)
Das mag theologisch richtig formuliert sein und ist doch gleichzeitig in der Diktion und Tendenz fragwürdig. Denn hier wird eine Kirche der zwei Klassen postuliert, wie sie sich symbolisch bei der jährlichen Zulassungsfeier für die erwachsenen Taufbewerber im Erzbistum Köln manifestiert. Die Taufbewerber und ihre Begleiter - sofern diese Laien sind - sitzen im Kirchenraum. Die Kleriker sitzen - auch wenn sie Taufbegleiter sind - selbstverständlich in Chorkleidung im Altarraum. Zum Abschluss des Gottesdienstes bilden diese Kleriker vor der Kniebeuge eine regelrechte Phalanx vor dem Altar. Der alte Lettner, aus lebendigen Klerikern erbaut, ist wieder da und verdeckt Taufbewerben und christgläubigen Laien den Blick auf Altar und Tabernakel. Unwillkürlich wird der Eindruck erweckt, dort oben versammele sich die wahre heilige Kirche, hier unten darf man wenigsten zusehen. Aber die, die in diesem Laienlimbus gefangen sind, dürfen immerhin am Apostolat mitwirken - das ist doch schon etwas.
Die Kirche braucht Laien. Denn Laien sprechen die Sprache der Welt, eine Weltsprache, die die Menschen wirklich verstehen. Von Laien erwartet man nicht, dass sie Erwartbares sagen. Laien sprechen mit der Macht und Kompetenz ihrer Lebenserfahrung. Als Getaufte und Gefirmte haben sie, um es mit einem Wort von Thomas von Aquin zu sagen, die
Macht, öffentlich den Glauben an Christus wie von Amtes wegen (quasi ex officio) mit Worten zu bekennen. (Thomas von Aquin, Summa theologica 3,72,5 ad 2)
Die immer wieder zu beobachtenden Ansätze der kirchenamtlichen Einengung der Laien wird auch von dem Wiener Weihbischof Helmut Krätzl diagnostiziert:
Wie wenig die Konsequenzen aus dem gemeinsamen Priestertum und damit dem neuen Verhältnis zwischen Priestern und Laien nach dem Konzil aufgearbeitet worden sind, zeigt die Instruktion vom 15. August 1997 ‚Zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester‘, die sehr restriktiv war. Sie wurde von acht römischen Kongregationen herausgegeben und vom Papst selbst ‚in forma specifica‘ approbiert. Man hat fast den Eindruck, dass hier ängstlich Grenzen gesetzt werden, die Laien nicht überschreiten sollen. Treten sie etwa in Konkurrenz mit den Priestern, die bislang dominierten? (Quelle: Helmut Krätzl, Berufung und Sendung der Laien nach dem 2. Vatikanum. Referat im Rahmen des Europäischen Forums der Nationalen Laienkomitees, Wien 2012)
Die Kirche ist zur Einheit verdammt. Die Zertrennung ist aber jetzt schon groß. Kann sich die Kirche jetzt auch noch ein katholisches Schisma leisten?
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal