Liebe Leserinnen und Leser,
die Zeit ist wieder gekommen, in der sich die alte Verheißung der endzeitlichen Völkerwallfahrt des Propheten Jesaja zu erfüllen scheint. Man braucht in diesen Tagen nur den Versuch zu unternehmen, in das Zentrum einer mittelgroßen Stadt zu kommen - egal ob man es mit dem PKW, dem öffentlichen Personennahverkehr oder gar zu Fuß versucht: Völkerscharen sind unterwegs. So muss es sich der Prophet vorgestellt haben: Wenn die messianische Zeit anbricht, am Ende der Tage, dann strömen die Völker - freilich nicht in die Innenstadt zum Weihnachtsmarkt, sondern zum Haus des Herrn. Aber immerhin: Die alljährliche Vergegenwärtigung vorweihnachtlicher Geschäftigkeit zeigt, dass Weihnachten die Menschen immer noch in Bewegung bringt. Auch wer nicht weiß, was an Weihnachten wirklich gefeiert wird, wird bewegt. Wie weiland die Hirten vom Feld zu dem Unterstand liefen, die wahrscheinlich auch nicht wirklich wussten, was oder wer da wohl wartete, so sind heute viele unterwegs, die wenigstens eine vage Weihnachtsahnung haben. Und so wie die Hirten zur Krippe liefen und eilten (vgl. Lukas 2,16), so laufen und eilen auch sie jetzt - scheinbar plan- und kopflos, voller emsiger Hektik, gestresst Glühwein schlürfend - zielstrebig auf die Heilige Nacht zu. Und so gilt das Wort des Paulus aus der zweiten Lesung des ersten Adventssonntags, der das Lesejahr A eröffnet, auch heute noch:
Bedenkt die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. (Römerbrief 13,11)
Wenn Gott kommt, wer kann da still stehen? Gott ist Dynamik und Bewegung. Zu Recht heißt es deshalb in der ersten Strophe des bekannten Adventsliedes "Wachet auf, ruft uns die Stimme":
"Wachet auf", ruft uns die Stimme
der Wächter sehr hoch auf der Zinne,
"wach auf, du Stadt Jerusalem."
Mitternacht heißt diese Stunde;
sie rufen uns mit hellem Munde:
"wo seid ihr klugen Jungfrauen?
Wohlauf, der Bräutgam kommt;
steht auf, die Lampen nehmt. Halleluja.
Mach euch bereit zu der Hochzeit,
ihr müsset ihm entgegengehn.
Die von einem solchen adventlichen Aufbruch Bewegten kommen aber wohl jäh ins Stocken, wenn sie einen Blick in die Sonderausgabe der Kirchenzeitung eines großen deutschen Erzbistums werfen, die in diesen Tagen mit dem Titel "Adventszeit" in alle katholischen Haushalte verteilt wurde. Schon auf der Titelseite wird man kleinlaut kleingeschrieben aufgefordert: "einfach mal anhalten," (inkl. des Kommas!), wobei einen ein junges Mädchen mit einem Stern in der Hand anschaut, das in dem geschäftigen Völkerstrom der Kölner Hohen Straße still steht. Man weiß nicht, ob sie nach dem Weg fragen möchte, weil sie sich verirrt hat, oder ob sie wissen möchte, warum sie krampfhaft einen Stern in der Hand hält. Noch leuchtet der Stern der jungen Frau. Wird sie aber noch genug Öl haben, wenn der Bräutigam kommt? Sie geht ihm auf jeden Fall nicht entgegen, sondern scheint eher darauf zu warten, dass sie abgeholt wird. Der Evangelist Matthäus weiß, dass das nicht gut gehen wird, denn wer nicht rechtzeitig dem Bräutigam entgegeneilt, wird vor verschlossener Tür stehen (vgl. Matthäus 25,1-13).
Die Aufforderung, im Advent anzuhalten, bleibt in der "Adventszeit"-Zeitung nicht singulär. Bereits auf S. 3 fordert der Herausgeber im Editorial auf: "Einen Gang zurückschalten". Und so geht es weiter mit den Beiträgen "Auf die Stille hören" (S. 18 - was auch immer die Stille redet, womit sie ja aufhört Stille zu sein ...) und "Eine Auszeit aus dem Alltag" (S. 34 - wo Gott doch mitten im Alltag zur Welt kommt ...). Immerhin gibt es den schönen Beitrag "Wir haben Stress, damit sie Ruhe haben" (S. 38), in dem die zu Wort kommen, die an Weihnachten arbeiten müssen, damit wenigstens die grundlegendsten Vitalfunktionen der Gesellschaft aufrecht erhalten werden.
Es ist schon eigenartig, wie die großen messianischen Weissagungen in der kirchlichen Verkündigung unterlaufen werden. Der adventliche Aufbruch wird sofort angehalten. Das Halleluja darf offenkundig nur still gedacht werden. Statt Eile zum Heil, heilige Langeweile.
Nein, wer im Advent zurückschaltet, wird den törichten Jungfrauen ähnlich, die in der Stille um einen guten Bräutigam beteten, aber das Leben verpassten: Die Tür schloss sich schneller, als sie "Herr, Herr, mach uns auf!" (Matthäus 25,11) sagen konnten.
Stattdessen sind gespannte Wachsamkeit und die Bereitschaft, aufzubrechen und loszueilen, das Gebot der Stunde. Das ist nicht nur die Aufforderung des Evangeliums vom ersten Adventssonntag im Lesejahr A:
Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. (Matthäus 24,44)
Auch die vorweihnachtlichen Völkerwanderungen zeugen von der Zeit des Aufbruchs. Wer jetzt zu stehen bleibt, der verpasst das Leben. Erkennt die Zeichen, die Zeit ist nahe! Currete!
Ich wünsche Ihnen heute nicht nur eine gesegnete Woche, sondern auch ein gutes Neues Kirchenjahr,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal