Unfassbar!
Liebe Leserinnen und Leser,
was wäre gewesen, wenn es zur Zeit Jesu schon die Smartphones und die sozialen Medien gegeben hätte. Hätte man live vom Grab gestreamt, womöglich eine Überwachungskamera aufgestellt? Hätte man den Aufenthaltsort der Jünger geleakt und die Kameras auf sie gehalten? Wäre es Maria Magdalena als erstes eingefallen ein Selfie mit dem Auferstandenen zu machen? Und was hätte man darauf gesehen – womöglich nur eine verwirrt glücklich strahlende Frau, neben der nichts zu sehen ist, weil der Auferstandene eigentlich schon nicht mehr von dieser Welt ist. Sie konnte ihn damals schon nicht festhalten. Und auch Thomas, der berühmte Zweifler, kann nicht glauben, bevor er den Auferstandenen nicht begreifen darf. Davon erzählt das Evangelium vom zweiten Sonntag der Osterzeit. Die anderen Jünger sind dem Auferstandenen schon begegnet. Trotz verschlossener Türen kam Jesus zu ihnen. Wohlgemerkt: Er kam nicht durch geschlossene Türen oder Maurern wie ein Gespenst oder ein Geist. Die wären, so man denn an sie glauben möchte, immer noch Teil der diesseitigen Welt. Nein, der Evangelist Johannes sagt einfach, dass die Jünger bei verschlossenen Türen versammelt waren; dann
„kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19b)
Das Besondere ist die Begegnung in sich, nicht die Art und Weise der Erscheinung. Letztere wird nicht hinterfragt, erstere bedarf hingegen einer Identifikation. Gerade weil die Begegnung mit dem Auferstandenen von den Begegnungen mit dem irdischen Jesus verschieden ist, stellt sich die Frage, ob es wirklich der Auferstandene ist oder nicht eine andere Vision. Das klärt zum einen, dass das Leben nach dem Tod nicht einfach eine Verlängerung der irdischen Existenz ist. Der Auferstehungsleib ist von dem aus Fleisch und Blut offenkundig verschieden. Andererseits muss doch die Identität erkennbar bleiben. Bei aller Diskontinuität in der Art der Leiblichkeit muss es eine Kontinuität in der Individualität geben. Deshalb wird der Auferstandene nicht an seiner äußeren Erscheinung erkannt. Die Berichte sind hier ohnehin äußerst diffus. Sie beschreiben nicht, was die ersten Auferstehungszeuginnen und -zeugen gesehen haben. Lediglich von Maria Magdalena heißt es, sie glaube, einen Gärtner vor sich zu haben (vgl. Joh 20,15). Die Identifikation des Auferstandenen erscheint dagegen fast unzweifelhaft eindeutig: Die Emmausjünger erkennen ihn an der Art und Weise des Brotbrechens (vgl. Lk 24,30f), Maria Magdalena erkennt ihn an der Stimme und der offenkundig einzigartigen Art und Weise, wie er ihren Namen ausspricht (vgl. Joh 20,16) und – wie es das Evangelium vom zweiten Sonntag der Osterzeit berichtet – die Jünger schließlich an den Wundmalen:
„Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ (Joh 20,20)
Es ist die Begegnung, die entscheidend ist – eine Erfahrung, die man nicht fixieren kann. Kein Smartphone, kein Foto, kein Bild kann das festhalten. Jedes Bild würde immer nur diejenigen zeigen, die behaupten, sie hätten ihn gesehen. Die subjektive Gewissheit der Begegnung mit dem Auferstandenen ist nicht objektivierbar – und trotzdem von jener umstürzenden Gewissheit, dass die, die diese Erfahrung machten, bereit waren, ihr eigenes Leben umzukrempeln und aufs Spiel zu setzen. Kann man das glauben? Man kann, man muss aber nicht!
Es ist also kein Wunder, das Thomas, den man Dídimus – Zwilling – nannte, zweifelt. Er glaubt nicht einfach denen, die behaupten, sie seien dem Auferstandenen begegnet:
„Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ (Joh 20,25bc)
Ihm wird die Gnade widerfahren, sich selbst Gewissheit zu verschaffen. Acht Tage später, am zweiten Sonntag nach Ostern, sind die Jünger wieder bei verschlossenen Türen versammelt. Diesmal ist Thomas dabei:
„Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch!“ (Joh 20,26b)
Wieder heißt es nicht, dass Jesus durch verschlossene Türen kam. Die Begegnung ereignet sich so. Sie ist offenkundig nicht rein äußerlich. Der, der dem Thomas da begegnet, ermöglicht seine Identifizierung:
„Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ (Joh 20,27)
Das alleine reicht, das Thomas erkennt und bekennt. Er hat den Auferstandenen nicht begriffen und er wird es nicht tun. Schlussendlich spricht dieser:
„Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,29)
Das Sehen reichte, die Gewissheit der Realität der Begegnung, die offenkundig gerade nicht physisch war. Es bleibt offen, wie sich die Begegnung ereignet. Dass sie real war, daran lassen die, denen sie widerfahren ist, subjektiv keinen Zweifel. Wie gesagt: das kann man glauben, muss es aber nicht!
Auch Fotos hätten eben keinen Beweis erbracht, weil sich die Auferstehung dem physisch-raum-zeitlichen Begreifen entzieht. Jedes Foto hätte nur die gezeigt, die dem Auferstandenen begegnen. Das Eigentliche, das Wesentliche bleibt bei aller Gewissheit unbegreiflich. Was aber treibt heute Menschen an, alles und jedes mit Smartphone festzuhalten. Die Begegnung mit der Welt wird nur noch über den Screen vermittelt, eingepfercht in einen Rahmen, der nur Ausschnitte von dem zeigt, was man unmittelbar hätte erfahren können. Verstörend waren in den letzten Tagen nachgerade die Bilder aus dem Petersdom. Überall sah man hochgereckte Smartphones mit angeschalteten Bildschirmen, die offenkundig den toten Papst Franziskus in Photonen und Pixel bannen wollten. Was macht man mit solchen Fotos? Zeigt man sie den besten Freundinnen und Freunden? Ist das der Beweis, dass man da war? War man wirklich da?
Noch verstörender sind die Selfies, die manche am Sarg des verstorbenen Papstes machten – nicht selten mit einem Lächeln. Selbst politische Amtsinhaber waren sich nicht zu schade, sich selbst auf dem Petersplatz zu inszenieren: Das Requiem als Betriebsausflug, bei dem sich Präsidenten aus Bund und Land grinsend fotografieren, als seien sie auf dem Weg in einen Freizeitpark.
Man muss ja nicht glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Man muss auch nicht daran glauben, dass der Papst der Nachfolger des Petrus ist – das kann man von einem protestantischen Bundespräsidenten und einem protestantischen Ministerpräsidenten wohl auch kaum verlangen. Ob aber der Respekt vor einem gelebten Leben und dem Toten – egal ob er Papst ist oder Bettler – nicht den nötigen Anstand erfordert, das Smartphone einfach mal in der Tasche zu lassen, ist eine Frage wert. So bleibt der Eindruck, dass dort die, die sich sonst beim Essen von Fastfood fotografieren, sich nur selbst inszenieren. Der Tote ist dann nur schmückendes Beiwerk. Ob sie ihm wirklich begegnet sind? Ob sie ihn wirklich verstanden haben? Ob sie sich mit ihm kritisch auseinandergesetzt haben? Egal: ICH war da … und morgen geht meine Instastory weiter.
Vielleicht liegt einer der Gründe, warum die Zeiten bemerkenswert verwirrt sind, in der Unfähigkeit zu wahrer Begegnung. Die wäre nämlich: Unfassbar – aber echt und wirksam!
Glück auf, frohe Ostern und Frieden über Israel,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal
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