Streit um Jesus

Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine, PR

Er hat es gewusst. Jesus ahnt, dass es Streit um ihn geben wird:

„Ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.“ (Mt 10,35)

Der Streit um Jesus ist eine Bekenntnisfrage. Es macht schon einen bedeutenden Unterschied, ob man in Jesus nur einen Menschen oder einen Propheten sieht oder ob man sich bekennt, dass er wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Letzteres ist über die Konfessionen hinweg das Bekenntnis der Christen – und dieses Bekenntnis ist hart errungen worden. Was glauben Sie denn?

Ausgangspunkt des Streites ist der Kreuzestod Jesu. Der galt als Zeichen der Gottverlassenheit, heißt es doch in der Thora, dass der, der am Holze hängend stirbt, von Gott verlassen ist (vgl. Dtn 21,23). Für Muslime, die Jesus, den sie Isa ibn Maryam nennen, immerhin als Propheten verehren, ist es unmöglich, dass dessen Leben schändlich am Kreuz endet. So heißt es in Sure 4,157:

„Sie sagten: ‚Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet.‘ – Aber sie haben ihn nicht getötet und nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen ein anderer ähnlich.“

Das irdisches Schicksal Jesus bleibt im Koran offen. Ein Gesandter Gottes darf nicht am Kreuz sterben.

Nun ist aber gerade der Kreuzestod Jesu unter Pontius Pilatus durch außerbiblisches Zeugnisse wie die des Josephus, des Tacitus, des Sueton oder Plinius des Jüngeren durchaus glaubhaft belegt. Der Kreuzestod Jesu darf als gesichert angenommen werden. Seine Auferstehung hingegen ist historisch nicht greifbar, wohl aber das Bekenntnis der Auferstehungszeugen (Paulus spricht im 1. Korintherbrief immerhin von über 513 Zeugen, die von zeitgenössischen Zweiflern befragt werden konnten). Dieses Bekenntnis aber wirft Fragen auf: Wenn der Kreuzestod Jesu an sich ein Ausweis der Gottverlassenheit ist, die Auferstehung als solche aber nur durch das Eingreifen Gottes möglich ist, dann wurde der Gottverlassene durch Gott gerettet. Dieses Paradox ist nicht nur die Basis des christlichen Bekenntnisses; es bildet auch den Ausgangspunkt für die Frage, wer dieser Jesus ist – eine Frage, um die in den ersten drei Jahrhunderten derart gestritten wurde, dass es zu Klärung im Jahr 325 n.d.Z. des Konzils von Nicäa bedurfte

Im Wesentlichen gab es drei Richtungen: Die Doketisten (vom griechischen „dokeîn“ – scheinen) behaupteten, dass Jesus nur Gott war. Es „schien“ nur so, er sei ein Mensch. Eine anderer Richtung – nach ihrem Hauptvertreter Arius „Arianismus“ genannt – behauptete, Jesus sei nur Mensch, aber kein Gott; er wurde von Gott aufgrund seiner gottgefälligen Lebensweise posthum durch die Auferstehung belohnt. Diese Richtung scheint noch im Koran durch, in dem es heißt:

„Es steht Gott nicht an, sich irgendein Kind zuzulegen.“ (Sure 19,35).

Während Gottes Größe im Christentum auch dadurch sichtbar wird, dass bei ihm nichts unmöglich ist (vgl. Lk 1,37), sind seine Fähigkeiten im Koran offenkundig wenigstens hier begrenzt.

Die dritte Richtung des Streites um Jesus ist die der Homoousianer (von griechisch „homo-ousios“ – wesensgleich). Durch theo-logische Reflexion sehen sie in Kreuzestod und Auferstehung eine göttliche Selbstoffenbarung: Gott identifiziert sich in Jesus total mit der menschlichen Existenz – und das bis in den schändlichsten Tod hinein. Die Auferstehung wird dann zur Verheißung, dass diese Identifikation auch umgekehrt für die Menschen gilt. Deshalb ist Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch – wobei offen bleibt, ob der Mensch Jesus um seine Göttlichkeit wusste.

Um dieses Bekenntnis wurde auf dem Konzil von Nicäa hart gerungen. Es heißt, dass ein gewisser Nikolaus von Myra, seines Zeichens Homoousianer, mit seinem theologischen Gegner Arius sogar handgreiflich aneinander geriet. Das waren noch Zeiten, als Theologie mit Leidenschaft betrieben wurde. Am Ende bekennt das Konzil, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist.

Nikolaus von Myra jedenfalls ist bis heute unvergessen. Er ist mehr als der freundliche Geschenkebringer, dessen wir heute am 6.12. gedenken. Er hat den Weg des christlichen Bekenntnisses geprägt. An ihm entscheidet sich der christliche Glaube. Nicht alle glauben das. Es muss wohl weiter gestritten werden … Gott sei Dank!

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht  in der Westdeutschen Zeitung vom 6. Dezember 2024.

In der Kolummne “Was glauben Sie denn?” der Westdeutschen Zeitung Wuppertal äußert sich Dr. Werner Kleine regelmäßig zu aktuellen Themen aus Kirche, Stadt und Land. Alle Texte der Kolummne erscheinen auch im Weblog "Kath 2:30":

"Was glauben Sie denn?" - Kath 2:30

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