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Familienangelegenheiten
Eine Porträt aus Honduras


Bertha Cáceres auf einer Versammlung in der Gemeinde San Francisco de Opalaca, die von dem Bau eines gigantischen Staudammes bedroht ist.

Text Kathrin Zeiske und Øle Schmidt
Bilder Øle Schmidt

Frau, Indigena, Regimegegnerin. Die anonymen Anrufer haben gleich drei Gründe, um Bertha Cáceres mit dem Tod zu drohen. Dass sie weiter für Demokratie und gegen Staudämme kämpft, ist auch eine Verbeugung vor ihnen Ahnen. Eine Porträt aus Honduras.

Es ist wie der Besuch eines ungeliebten Vertrauten, der plötzlich wieder auftaucht, obwohl er nicht eingeladen ist. Jemand, der sich nicht abschütteln lässt. Der Besitz ergreift, und sich in die Seele schleicht. Angst und Bedrohung begleiten Bertha Cáceres so lange sie denken kann. Doch seit dem Putsch vor vier Jahren ist es besonders schlimm.

»Meine vier Kinder sind in Sicherheit«, sagt sie erleichtert. »Nach all den Drohungen habe ich sie ins Ausland geschickt. Sie fehlen mir sehr.«

Die Drohungen am Telefon, die anonymen Zettel unter dem Scheibenwischer, die körperlichen Übergriffe der Polizisten haben Erinnerungen in ihr wach werden lassen. An ihre Mutter Bertha, die während der Diktaturen in Honduras überwacht und drangsaliert worden war. An ihre Brüder Carlos und Francisco, die vom Militär verschleppt und gefoltert worden waren.

Auch Bertha Cáceres hat einflussreiche Feinde. Als Koordinatorin von COPINH fordert sie die großen honduranischen Energiekonzerne heraus, ihre globalen Geschäftspartner, und als wäre das nicht genug, die international umstrittene Regierung des mittelamerikanischen Landes.

»Nicht immer ganz legal«

COPINH ist die Abkürzung für »Ziviler Rat der indigenen Basisorganisationen in Honduras«. Cáceres hat den Dachverband vor fast zwanzig Jahren mitbegründet, mittlerweile vertritt er etwa die Hälfte der rund hunderttausend Nachfahren der Ureinwohner. Anfangs organisiert sie den Widerstand gegen illegale Abholzung. »Wir haben damals mehr als dreißig Holzfirmen aus prächtigen Pinienwäldern rausgeworfen«, sagt sie und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, »nicht immer ganz legal.« Der Einsatz gegen Staudämme auf indigenem Boden wird sich in den folgenden Jahren als komplizierter herausstellen.

Der Regen ist stärker geworden. Schwere Tropfen fallen auf das Dach aus Wellblech. Im Büro von Bertha Cáceres hallt der Aufprall metallisch nach. Es ist Regenzeit, und für einen Moment scheint es, als ob die Zentrale von COPINH in der kleinen Stadt La Esperanza im Schlamm versinken könnte.

Es ist seltsam, aber anzumerken ist ihr die Angst nicht, mit der Regimegegner in Honduras leben müssen. Fast schon routiniert spricht Bertha Cáceres von Freunden, die spurlos verschwunden sind, von getöteten Kollegen. Auch verhärtet wirkt sie nicht. Die braunen Augen blitzen wach, die Gesichtszüge der Einundvierzigjährigen sind entspannt, jünger sieht sie aus. Irgendwie zufrieden. Nicht wie ein Opfer. Von Angst keine Spur.

Vielleicht, weil es umso mehr schmerzt, den Schmerz zu zeigen. Vielleicht, weil ihr gar nicht anderes übrig bleibt, als den Alptraum aus Gewalt und Tod auszublenden, um nicht verrückt zu werden. Vielleicht aber auch, weil sie sich Angst um keinen Preis erlaubt, damit der Plan von Todesschwadronen und Militärs nicht aufgeht. Vielleicht. Fragen dazu weicht sie aus.
Dieser Alptraum ist längst Teil des Lebens vieler Menschen in Bertha Cáceres’ Heimat. Seit dem Putsch gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya sind sieben Aktivisten von COPINH umgebracht worden. Die insgesamt mehr als dreihundert politischen Morde verlieren sich zynisch fast in der Statistik, Honduras ist das Land mit der höchsten Mordrate weltweit, vor dem Irak und Afghanistan.

Eine ihrer Töchter ist in unmittelbarer Nähe, als in der Hauptstadt Tegucigalpa eine Bombe in einem Gewerkschaftsgebäude explodiert. Die Drohungen gegen sich lässt Bertha Cáceres nicht an sich heran, ihre Kinder bringt sie in Sicherheit. Sie lebt jetzt alleine mit ihrer Mutter.

Bertha Cáceres stammt aus einer indigenen Familie, vom Volk der Lencas. Ihre Mutter arbeitet zu einer Zeit als Krankenschwester und Hebamme, als es in La Esperanza noch keine Ärzte gibt. Sie gibt nicht nur ihren Vornamen an die Tochter weiter, sondern auch den Mut, eigene Wege einzuschlagen, und die Unerschrockenheit, diese Dissidenz auszuhalten.

»Die Erfahrung, dass Frauen stark sein können, hat mich geprägt«

Weil die Ärzte aus der Hauptstadt, die nach La Esperanza kommen, aus rassistischen Gründen keine Indigenas behandeln, ist das Haus, in dem Bertha Cáceres aufwächst, stets voller Menschen, die auf eine medizinische Untersuchung warten. »Die Erfahrung, dass Frauen stark sein können, hat mich geprägt«, sagt sie. Die Großmutter erzählt ihr von der Geschichte der Lencas, die Mutter berichtet von weiblichen Vorfahren in der Familie, die angesehene Heilerinnen waren.

Nach vielen Auseinandersetzungen lässt sich die Mutter von ihrem Mann scheiden, einem ehemaligen Militär. Danach widmet sie sich vollständig dem Engagement in sozialen Bewegungen. An ihrer Seite immer die Tochter. Die lernt früh, was es bedeutet, die falsche Hautfarbe und die falsche Meinung zu haben. »Mit acht Jahren wusste ich genau, was ich in der Öffentlichkeit sagen durfte, und worüber ich zu schweigen hatte«, erinnert sich Bertha Cáceres. Weil die Mutter in der Opposition gegen die Militärdiktaturen wirkt, steht die Familie unter Beobachtung.

Der eine Bruder, Francisco, wird von Soldaten entführt und gefoltert, damit er gegen seine Mutter aussagt. Immer sonntags fordert die Familie vor dem Gefängnis seine Freilassung, sechs lange Monate. Als er wieder frei ist, ist er seelisch gebrochen. Er verlässt Honduras ohne Papiere Richtung USA.

Der andere Bruder, Carlos, wird mit tausend jungen Lenca-Männern vom Militär zwangsrekrutiert und in eine Kaserne nach Tegucigalpa verschleppt. Zwei Jahre wird er als Fallschirmspringer ausgebildet. Dann gelingt ihm die Flucht.


Dieser Jugendliche erinnert an ein Mitglied der Demokratiebewegung, das wenige Tage zuvor ermordet worden war.

Anders als für die hellhäutigen Stadtbewohner ist die blutige Eroberung durch die Spanier für die Lencas mehr als eine geschichtliche Epoche. Fünf Jahrhunderte danach rekonstruieren sie ihre Sprache, die von den Besatzern ausgelöscht worden war; nur in ihren Dörfern gibt es noch Lepra und Tuberkulose. »Seit der Conquista gilt in Lateinamerika eine Hierarchie, die den Wert eines Menschen an seiner Hautfarbe abliest«, sagt Bertha Cáceres. »Wir dunkelhäutigen Indigenas stehen ganz unten.«

Dreißig Augenpaare sind auf sie gerichtet. In dem kleinen weißgetünchten Haus aus Lehm liegt der Geruch von Maistortillas in der Luft. »Für uns Lencas sind die Flüsse heilig«, sagt Bertha Cáceres vor den Bewohnern der Gemeinde San Francisco de Opalaca. »Wer von der Natur nimmt, muss ihr etwas zurückgeben. Ein Staudamm ist für uns ein unvorstellbarer Eingriff.«

Mitte der neunziger Jahre werden die Pläne über den Bau eines gigantischen Staudamms bekannt. Die Bewohner von San Francisco de Opalaca organisieren sich bei COPINH. Drei Präsidenten ignorieren die Ablehnung der Bevölkerung, bis Präsident Zelaya den Bau von El Tigre stoppt. Doch es ist nur ein Etappensieg, mit dem Putsch vor vier Jahren werden die Pläne wieder aus der Schublade geholt.

»Seit fünfhundert Jahren kämpfen wir gegen den Diebstahl unseres Landes«

»Seit fünfhundert Jahren kämpfen wir gegen den Diebstahl unseres Landes«, Bertha Cáceres hebt ihre Stimme. »Einst gegen die spanischen Eroberer, heute gegen den Verkauf unserer Wälder und die Vertreibung für große Staudämme.« Rollen die Bagger erst einmal, dann werden die Dörfer geflutet, und die Tiere von den Wassermassen in den Tod gerissen. Die Menschen werden entwurzelt. Wer nicht verkauft, wird gezwungen den Boden zu verlassen, auf dem schon seine Ahnen lebten und auch begraben sind.

Der Strom, den El Tigre später erzeugen soll, soll in den Tagebau fließen. Für die Ausbeutung von Gold und Silber treibt die Regierung ein neues Gesetz voran. Ungeachtet dessen, dass schon der Bau des Staudamms illegal ist, da er das von der UN festgeschriebene Mitspracherecht von indigenen Gemeinden bei Projekten auf ihrem Land verletzt.

Nach ihrer Rede beugt sich Bertha Cáceres zu einer alten Frau hinunter und nimmt sie in den Arm, Doña Pasqualita geht ihr gerade einmal bis zu den Schultern. Zwei Generationen von Lenca-Frauen. Die Alte vom Dorf; die spirituelle Heilerin, die das Wissen der Kräuter hat, obwohl sie nicht lesen und schreiben kann; die noch nie ein Paar Schuhe besessen hat. Die Junge aus der Stadt; gebildet und wortgewandt; die Rädelsführerin mit Smartphone; die Politische in Treckingschuhen.

Die beiden kennen sich seit fünfzehn Jahren. Damals steht Doña Pasqualita vor dem Büro in La Esperanza. Sie berichtet Bertha Cáceres besorgt von El Tigre, und dass die Lenca-Männer keine Alternative zu einem Deal mit der Regierung sehen. Ihre Frauen sprechen sich dagegen aus, dass Land kampflos zu verlassen. Sie schicken die Heilerin mit dem faltigen Gesicht, um COPINH um Unterstützung zu bitten.

In den nächsten Jahren spielen die Indigenas nach ihren Regeln. Sie riegeln das Gebiet ab – ihr Gebiet –und werfen die Ingenieure von El Tigre ’raus. Als der neu gewählte Präsident Manuel Zelaya im Jahr 2005 erklärt, das Staudammprojekt weiterzuführen, lädt ihn Bertha Cáceres ein, das Gebiet zu besuchen. Siebentausend Demonstranten begrüßen ihn. Noch vor Ort verspricht Zelaya, den Bau nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.

Bertha Cáceres ist eine Zumutung. Als Frau. Als Indigena. Als Regimegegnerin. Auch sich selbst mutet sie eine Menge zu, in dem kleinen mittelamerikanischen Land, das gegensätzlicher kaum sein könnte. Dass sie ihre Rolle als Antithese mit einem Lächeln annimmt, ändert nichts daran, dass sie in großer Gefahr schwebt. Es ist eine Sache, als Chefin einer bedeutenden Oppositionsgruppe dem Machismo zu trotzen. Eine andere, die Verachtung der hellhäutigen Mehrheit zu ertragen. Doch es zeugt von Chuzpe, sich mit dem Regime und den Konzernen in Honduras anzulegen, die ihre Interessen im Zweifel mit der Waffe durchsetzen.

Einem Regime, dem Menschenrechtler vorwerfen, einen schmutzigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, ausgeführt von Polizei, Armee und Paramilitärs. Damals mit Präsident Porfirio Lobo an der Spitze, der als Sieger aus der Wahl nach dem Putsch hervorgegangen ist. Eine Wahl, die keine war, ist sie doch von den Putschisten organisiert worden.

»Rückkehr zu Rechtsstaat und Verfassungsmäßigkeit«

Wie nah Honduras politisch an Deutschland liegt, zeigt sich für Bertha Cáceres in den folgenden Monaten. Während Vereinte Nationen, Europäische Union und die USA ungewohnt einstimmig den Putsch verurteilen, feiert der Mittelamerika-Repräsentant der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung ihn als »Rückkehr zu Rechtsstaat und Verfassungsmäßigkeit.« Christian Lüth wird aus Honduras abgezogen. Nicht etwa aus disziplinarischen Gründen, sondern weil ihn der Parteifreund und damalige Minister Dirk Niebel ins Entwicklungshilfeministerium beruft. Die Bundesregierung vergibt an die international weitgehend isolierte Regierung in Tegucigalpa Entwicklungshilfe in Höhe von 47 Millionen Euro. Staatssekretär Jürgen Beerfeltz, FDP, erklärt in Honduras, dass er seinen Besuch als »internationales Signal« für andere Länder verstehe.

Während Oppositionelle wie Bertha Cáceres um ihr Leben fürchten, unterzeichnet die Europäische Union ein weit reichendes wirtschaftspolitisches Assoziierungsabkommen mit Honduras. Über ihr PASS-Programm versucht sich die EU zudem mit 44 Millionen Euro an der Reform des dortigen Sicherheitsapparats. »Ob den Männern in Brüssel klar ist«, fragt sich Bertha Cáceres, »dass ein Großteil des Geldes an diejenigen geht, die für Terror und Straffreiheit mitverantwortlich sind?« Die ehemalige Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments, Gloria Oqueli findet deutlichere Worte: »Die EU macht sich zur Komplizin der Barbarei in Honduras.«

Die Drahtzieher des Putsches aus Armee, Justiz und Parlament leben bis heute unbehelligt.

Ihren größten Coup landen Bertha Cáceres und COPINH im Jahr 1994. Damals besetzen sie das Parlament in der Hauptstadt Tegucigalpa. Sie wollen erreichen, dass die Regierung endlich die Rechte der indigenen Völker in Honduras anerkennt.


In einem Zentrum für Menschenrechte in der Hauptstadt Tegucigalpa hängen die Bilder von OPPOSITIONELLEN, die spurlos »verschwunden« sind ...

Von den Abgeordneten werden die Lencas freundlich begrüßt. Die Nachfahren von Lempira, der Honduras gegen die Spanier verteidigt hatte, seien immer herzlich Willkommen. »Sie haben uns als Folklore-Einlage betrachtet«, erinnert sich Bertha Cáceres. »Als wir unsere Forderungen vorlegten, ist ihnen die Kinnlade heruntergefallen und sie beschimpften uns als dreckige, aufmüpfige Indios.«

Elf Tage und Nächte bleiben sie, auf den Gängen des Parlaments kochen sie ihre Bohnen auf traditionelle Weise mit Feuerholz. Dann lenkt die Regierung ein und unterschreibt den Paragraphen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, einem UN-Gremium. Er garantiert den indigenen Gemeinden Landrechte und Mitsprache. Doch die folgenden Regierungen halten sich nicht daran, ob beim Verkauf von Wäldern, der Verpachtung von Flüssen oder eben bei Staudammprojekten.

Manuel Zelaya bricht mit dieser Tradition, als er im Parlament den Baustopp von El Tigre verkündet. »Wir begannen, ihn ihm einen Verbündeten zu sehen«, sagt Bertha Cáceres. Als die Aktivisten von COPINH eine verstärkte Militärpräsenz beobachten, warnen sie den Präsidenten, der sich mit den Eliten angelegt hatte. Vier Tage später wird Zelaya im Morgengrauen von der Armee im Schlafanzug nach Costa Rica entführt. Bertha Cáceres und drei ihrer Geschwister werden inhaftiert. Seitdem tauchen ihre ungeliebten Vertrauten Angst und Bedrohung wieder regelmäßig bei ihr auf.

Der Regen wird schwächer. Ein Radiosender meldet, dass zwei Mitarbeiter von COPINH einen Anschlag auf sie überlebt haben. Bertha Cáceres fährt den Geländewagen schweigend durch die Nacht. Bienvenidos steht auf dem Ortsschild. Willkommen in La Esperanza. La Esperanza heißt übersetzt: die Hoffnung.

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