Blick auf die alte Eisenbahnstrecke, gebaut im Osmanischen Reich, die vom Mittelmeer nach Jerusalem führt
Text und Bild Dr. Till Magnus Steiner
Das verheißene Land des Alten Testaments ist für Juden, Christen und Muslime ein heiliges Land. In der Tradition des Glaubens ist es ein Ort, an dem man den Heilstaten Gottes, wenn schon nicht zeitlich, so doch zumindest räumlich nah sein kann. Auch wenn das Land, ebenso wie Gott selbst, für die drei sogenannten abrahamitischen Religionen nicht frei verfügbar ist. Den menschlichen Konflikten um das Land steht der göttliche Besitz- und Eigentumsanspruch entgegen.
Text Dr. Till Magnus Steiner
Ich bin blind. Ich sehe die bewaffneten Soldaten auf den Straßen von Jerusalem nicht mehr; und wenn ich einkaufe, passiere ich wie selbstverständlich einen Metalldetektor. Auf meinem Weg zur Arbeit komme ich an zwei Gedenktafeln für die Opfer von Selbstmordattentaten vorbei, und nicht selten beobachte ich, wie Polizisten auf der Straße Palästinenser anhalten, um ihre Identität zu überprüfen. Von Terroranschlägen erfahre ich nur aus dem Internet – selbst wenn das Blut der Opfer und das der Attentäter auf Straßen vergossen ist, die nicht weit von mir entfernt sind. Ich lebe in einer Alltagsblase, in der die tägliche Terrorangst und die gleichzeitige Unterdrückung der Palästinenser trotz ihrer Realität oft nicht zum wahrgenommenen Lebensalltag gehören.
Text Dr. Till Magnus Steiner
Als ich Ministrant war, gehörte zu unserem Gewand eine Plakette, die wir in jeder Messe trugen und die auf ihrer Vorderseite die Brotvermehrung zeigte. Einmal im Jahr, an Pfingsten, drehten wir die Plakette um, denn auf der Rückseite war eine Darstellung des Pfingstereignisses zu sehen: die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger Jesu. Alttestamentlich betrachtet wäre es eigentlich sinnvoller gewesen, die Darstellung des Pfingstereignisses das ganze Jahr als Vorderseite zu tragen und nur an Pfingsten die Plakette umzudrehen. Denn an Pfingsten feiert man die Weizenernte. Das Christentum feiert nicht das Pfingstfest, sondern was an Pfingsten geschehen ist.
Text Till Magnus Steiner
Bilder Till Magnus Steiner und Christoph Schönbach
Mit einem Stock schlägt ein kleiner palästinensischer Junge, nicht älter als acht Jahre, immer wieder auf ihn ein. Doch die Schläge bringen ihn nicht zu Fall. Er ist alt, gut zwei Meter groß und mit seiner Krone reicht er vielleicht sechs Meter in die Höhe. Meine Frau und ich stehen bei einem jüngeren, kleineren Baum und pflücken Oliven (so als wenn wir Äpfel pflücken würden). Viele israelische und palästinensische Familien sind heute in das Kreuztal in Jerusalem gekommen, um Oliven zu ernten. Es ist ein goldener Herbsttag. Der palästinensische Junge hat von allen eindeutig die lauteste Methode gewählt – aber auch wenn der Lärm die Idylle etwas stört, er macht es genau richtig. Bereits die Bibel berichtet, dass Olivenbäume durch das Schlagen auf den Stamm und auf das Geäst abgeerntet werden. So heißt es zum Beispiel im Buch Deuteronomium, Kapitel 24, Vers 20: „Wenn du einen Olivenbaum abgeklopft hast, sollst du nicht auch noch die Zweige absuchen. Was noch hängt, soll den Fremden, Waisen und Witwen gehören.“ Hier findet sich das Verb חָבַט (gesprochen: chavat), das soviel bedeutet, wie „schlagen“ oder „klopfen“. Die Olivenernte an sich hat etwas Gewalttätiges, doch die Methode spiegelt gemäß der Bibel auch Gerechtigkeit wider, denn der Baum kann so nicht vollends abgeerntet werden. Am Ende bleibt ein Teil der Oliven an den Zweigen – laut Bibel der Anteil der personae miserae; der Anteil derjenigen, die hilfs- und schutzbedürftig sind.
Das Blasen der Schofar soll die Gläubigen daran erinnern, dass es Zeit ist Buße zu tun und Schuld zu vergeben.
Text Till Magnus Steiner
Bild Christoph Schönbach
Das Heulen der Sirene ist jedesmal markerschütternd. Man kann sich dem Ton nicht entziehen, man muss sich ihm stellen. Es ist ein langer, anhaltender Ton, der sich vor einem aufbaut wie eine Wand. Ein Ton, den man nicht nicht-hören kann. In Israel erklingt sowohl am Jom HaZikaron, dem Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und die Opfer des Terrorismus, sowie am Jom HaSho’a, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, eine Sirene, die zur Erinnerung, zum Schweigen und zum Ehrerweis anhält.
Text Till Magnus Steiner
„Nächste Abfahrt: Möbelhaus XY!“ – solche Werbungen sieht man oft auf Schildern entlang von Autobahnen. Seit September des vergangenen Jahres stehen nun auf brachliegenden Feldern in Israel andere Schilder: „Hier wird das Brachjahr eingehalten!“. Aus Respekt vor einem biblischen Gesetz, das im Buch Exodus steht, bearbeiten einige jüdische Landwirte ihre Felder nicht. Denn in Ex 23,10-11 heißt es: „Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebten sollst du es brach liegenlassen und nicht bestellen…“
Text Till Magnus Steiner
Sowohl in Europa als auch in Israel ist die Flüchtlingspolitik meist nicht von Gastfreundschaft, sondern von Abschottung geprägt. Daher hat mich ein Satz, den ich vor kurzem gehört habe, sehr berührt: „Eines Tages, wenn der Frieden zurückgekehrt ist, lade ich Euch ein in den Sudan und dort werdet Ihr sehen, wie schön mein Land ist.“ So klingt ein von sudanesischen Flüchtlingen geschriebenes und aufgeführtes Theaterstück aus, das Einblick in ihr Leben in Israel gibt. Der Mann auf der Bühne ist ein sudanesischer Muslim, der vor Krieg und Unterdrückung nach Israel geflohen ist, aus Angst um sein Leben. Er ist einer von mehr als 60.000 Flüchtlingen aus dem Sudan und Eritrea, die seit 2007 nach Israel gekommen sind. Für sie ist Israel nicht das gelobte Land, sondern die Hoffnung auf Überleben, auf ein menschenwürdiges Leben, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Ihr Status in Israel ist jedoch nicht geklärt. Die Regierung verweigert ihnen die Anerkennung als Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention, und so haben sie keine Perspektive. Die Politik in Israel betrachtet sie als illegale Migranten, und gewährt ihnen kaum Rechte. Bis 2007 war für Flüchtlinge aus Ostafrika der Weg über Libyen die erste Route in die Europäische Union, um dort Asyl zu beantragen. Politische Abkommen von EU und Italien mit Libyen gegen „illegale Migration“ haben diesen Weg geschlossen. Für die vorwiegend christlichen und muslimischen Flüchtlinge aus Ostafrika wurde der jüdischgeprägte Staat Israel so zum Ort der neuen Hoffnung – eine Hoffnung, die sich durch die Bibel gut begründen lässt.
Text Till Magnus Steiner
Welcher Religion jemand angehört, definiert in Israel, vielleicht mehr noch als in anderen Ländern, die Identität einer Person – und die Religion der Mitglieder der Gesellschaft definiert die Identität des Staates. In der israelischen Gesellschaft wird immer wieder kontrovers diskutiert, ob Israel ein jüdischer Staat ist, beziehungsweise sein soll – und was das Adjektiv „jüdisch“ in diesem Zusammenhang eigentlich bedeutet. Nicht jeder Israeli ist Jude und nicht jeder Jude ist Israeli. Das Judentum ist sowohl eine Religion als auch ein Volk und das Adjektiv „jüdisch“ bezeichnet sowohl eine Religionszugehörigkeit als auch eine Volkszugehörigkeit. Ein israelischer Freund von mir bezeichnet sich selbst als atheistischer Jude und sieht darin keinen Widerspruch. Aber das Adjektiv „jüdisch“ stellt für den Staat Israel seit der Staatsgründung notwendigerweise eine Herausforderung dar.
Unser Mann in Israel Till Magnus Steiner
Als ich vor zehn Jahren erstmals nach Israel kam, um dort meinen Zivildienst zu leisten, war das Frühstück eine Qual. Wieder und wieder gab es das gleiche labbrige Weißbrot; bis eines Morgens Mazzot auf dem Tisch lagen: dünne, ungesäuerte Brotfladen, die an Knäckebrot erinnern. Auf die Frage, was dieses Brot sei, erhielt ich die Antwort: „Das ist das Brot der Juden für Pessach“.
Till Magnus Steiner lebt und arbeitet in Jerusalem
in Israel ist der katholische Theologe Till Magnus Steiner. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Exegese des Alten Testamentes. Er lebt und arbeitet zur Zeit in Jerusalem.