Ausgabe 19, April 2018

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Vom verheißenen Land in das Heilige Land
Ein biblischer Blick auf Israel/Palästina

Blick auf die alte Eisenbahnstrecke, gebaut im Osmanischen Reich, die vom Mittelmeer nach Jerusalem führt

Text und Bild Dr. Till Magnus Steiner

Das verheißene Land des Alten Testaments ist für Juden, Christen und Muslime ein heiliges Land. In der Tradition des Glaubens ist es ein Ort, an dem man den Heilstaten Gottes, wenn schon nicht zeitlich, so doch zumindest räumlich nah sein kann. Auch wenn das Land, ebenso wie Gott selbst, für die drei sogenannten abrahamitischen Religionen nicht frei verfügbar ist. Den menschlichen Konflikten um das Land steht der göttliche Besitz- und Eigentumsanspruch entgegen.

Göttlicher Befehl

Die Sehnsucht der Gläubigen, die sich auf ein Stückchen Erdboden in der Levante richtet, hat in der Bibel einen profanen Anfang: Kanaan, das spätere verheißene Land, war gemäß der Darstellung im Buch Genesis nur das Ziel eines Migranten: Terach, der Vater Abrahams, bricht aus Ur in Chaldäa, im heutigen Irak, auf, um nach Kanaan zu gelangen. Bezüglich dieser Migrationsbewegung wird in den Schriften weder von einem Befehl, noch von einer Verheißung Gottes berichtet. Terach kommt nur bis Haran, wo er sich mit seiner Familie niederlässt und stirbt. Dort, im heutigen Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien, wird aus dem menschlichen Verlangen ein göttlicher Befehl. Abraham soll nach Kanaan ziehen – aus ihm werde ein großes Volk entstehen und alle Menschen der Welt sollen durch ihn Segen empfangen. Dieser Verheißung ist nach Abrahams Ankunft in Kanaan die Landverheißung untergeordnet. Sie kommt fast unscheinbar daher als ein im Hebräischen aus nur fünf Wörtern bestehender Satz, der doch monumental ist und im ganzen Nahen Osten bis heute zu Konflikten führt: „Deinen Nachkommen werde ich dieses Land geben!“ (Genesis 12,7). In der Darstellung des Buches Josua führt dieser verheißene Segen für die Kanaaniter zum Verlust ihres Landes; Gott gibt dem Volk Israel gewaltsam das Land Kanaan samt seiner Bewohner. Für die Kanaaniter ist das Abraham und seinen Nachkommen verheißene Land ihr verlorenes Land.

Mehrfach erklingt im Buch Genesis die Landverheißung. In ihren verschiedenen Formen wird auch Abraham der Besitz des Landes versprochen, der Umfang des Landes wird unterschiedlich definiert und die Verheißung wird an Bedingungen geknüpft. Grundlegend sind sie alle verbunden in der theologischen Aussage, dass das Land letztlich weder Abraham und seinen Nachfahren noch den Kanaanitern gehört. Anders als in altorientalischen Gesetzessammlungen findet man in den alttestamentlichen Gesetzen keinen Hinweis auf eine andauernde Landverpachtung oder gar einen endgültigen Landverkauf. Gemäß dem Buch Levitikus lebt das Volk Israel, wie schon Abraham, nur als Immigrant im verheißenen Land. Sie werden immer nur Fremde auf dem eigenen Land bleiben. Wenn die göttlichen Bedingungen für das Leben im verheißenen Land nicht erfüllt werden, entzieht Gott seinem Volk das Nutzungsrecht. Gott ist der wahre Eigentümer des verheißenen Landes (Levitikus 25,23). Das Buch Deuteronomium warnt gar davor, wegen des Lebens im verheißenen Land falschen Stolz zu entwickeln. Nur die exklusive Liebe zu Gott, die sich im Halten seiner Gebote manifestiert, führe zur Inbesitznahme des Landes sowie zu einem dauerhaften Leben auf ihm. Nicht im Land allein, sondern nur in der Beziehung zu Gott kann das Volk Israel Heil finden (Deuteronomium 8,14).

Landverheißung

Aus alttestamentlicher Sicht ist das Land Dreh- und Angelpunkt der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Die ausführliche Auseinandersetzung mit der Land-Thematik führt letztlich zu einer Gesamtdarstellung der israelitischen Religion und zu einer Theologie des Alten Testaments. Zugleich gelangt man als Christ über dieses Thema mitten in den jüdisch-christlichen Dialog und den Nahost-Konflikt.

Die erste erklingende Landverheißung im Buch Genesis ergeht an Abraham in Sichem, dem heutigen Nablus. Als Gott im Folgenden seine Landverheißung an Abraham wiederholt, lässt dieser sich in Hebron nieder. Das Kerngebiet des verheißenen Landes ist die heute vom Staat Israel besetzte jordanische Westbank, die Palästinenser als ihr künftiges Staatsgebiet beanspruchen. Teile der jüdisch-israelischen Siedlerbewegung würden eher Tel Aviv und Haifa aufgeben, als den Palästinensern die Westbank zu überlassen – und Christen weltweit, auch palästinensische Christen, wenn sie die Psalmen beten, betonen mit Psalm 105 die Gültigkeit der Landverheißung an Israel.

Paulus betont im Brief an die Römer, dass Jesus „als Diener der Beschnittenen“ die Verheißungen an die Erzväter und somit auch die Landverheißung bestätigt hat (Römer 9,4-5; 15,8). Für Lukas, den Autor der Apostelgeschichte, ist das jüdische Leben im Land zu seiner Zeit ein Zeichen der Erfüllung der Landverheißung (Apostelgeschichte 7,4-5). Doch es gibt im Neuen Testament auch andere Stimmen. In den Seligpreisungen der Bergpredigt wird den Sanftmütigen das Land als Erbe versprochen (Matthäus 5,5). Dies stellt keine Enteignung des Volkes Israel dar, sondern eine Linie der Armentheologie aus den Psalmen bis ins Matthäusevangelium, die an Psalm 37 anknüpft. Die Unterdrückten werden von der Macht der Unterdrücker befreit werden und Gott wird eine neue Gesellschaftsordnung etablieren. Er wird das Land den Armen geben. So wie Gott die Unterdrückung seines Volkes in Ägypten damit beendete, dass er es in das verheißene Land führte, so wird nun für die Armen und Unterdrückten in der Gesellschaft verheißen, dass nur sie im Land bleiben dürfen.

Im Judentum der Zeit des Neuen Testamentes gab es verschiedene Deutungen der Landverheißung und -thematik. Es wurde auf eine Neuerrichtung des davidischen Reiches gehofft, die es ermöglichen sollte, ohne Nicht-Juden in absoluter Treue gegenüber den Gesetze Gottes zu leben. Andere lasen die Landverheißung im übertragenen Sinne und identifizierten den Zug ins Land mit dem Eintritt in die Weisheit. In der Apokalyptik wiederum wurde das verheißene Land universalistisch auf die ganze Welt ausgeweitet oder im Himmel neu lokalisiert. Die Landverheißungen im Alten Testament haben das Schicksal eines jeden Textes erfahren: Sie wurden zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Gruppen unterschiedlich ausgelegt, interpretiert und kontextualisiert.

Nicht räumlich begrenzt

Die Schriften des Neuen Testaments können als genuin jüdische Positionen gelesen werden, die sich in der Geschichte zum Christlichen entwickelt haben. Ein deutlicher Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament liegt jedoch in der Behandlung der Landverheißung: Das Land spielt im Neuen Testament nur eine untergeordnete Rolle als Raum, in dem Jesus geboren, gewirkt, gestorben und auferstanden ist. Während das entstehende Christentum seinen Fokus weg vom Land hin zur Weltmission wendete, versuchen heute christliche Pilger sozusagen im Land in den Fußspuren Jesu zumindest eine räumliche Nähe zu ihm zu erleben.

Gegen eine Überhöhung des verheißenen Landes stellt sich bereits das Johannes-Evangelium, in dem der Autor sich gegen einen Glauben wendet, der an einen greifbaren Ort gebunden ist: Beziehung zu Gott ereignet sich „in Geist und in Wahrheit“ und ist nicht räumlich begrenzt (Johannes 4,21-23). Der Himmel über dem verheißenen Land ist der gleiche, der sich auch über Europa und überall finden lässt. Bereits im Alten Testament verweist König Salomo bei der Einweihung des Tempels darauf, dass Gott sich nicht in einen Tempel zwängen lässt und dass er auch fernab vom verheißenen Land anrufbar ist. Doch der Tempel stand nicht irgendwo, sondern im vom Gott erwählten Land. Gott wurde in Jesus Christus in dem Land Mensch, das er sein Eigentum nennt.

Beziehung zu Gott

Im Vatikan gibt es ein Pilgerkästchen aus dem 7./8. Jahrhundert mit der Erde verschiedener heiliger Stätten aus dem Heiligen Land. Auf dem Kästchen sind verschiedene Stationen Jesu Leben abgebildet. Dieses Pilgerkästchen spiegelt den Glauben wider, dass Heiligkeit eine innige Beziehung zum Materiellen eingehen kann. Sie hafte sozusagen an den Dingen, die in Berührung mit heiligen Personen gekommen sind, oder an Orten, wo heilige Geschichte sich ereignet hat. In der Bibel gibt es – fernab vom verheißenen Land – tatsächlich heiligen Erdboden. Aus dem brennenden Dornbusch heraus fordert Gott Mose auf, seine Sandalen auszuziehen, da der Ort, an dem ihm Gott erscheint, heiliger Boden ist (Exodus 3,5). Vorher und auch nachher spielt dieser heilige Ort im Alten Testament keine weitere Rolle. Es ist kein Ort, um dorthin zu pilgern und es wird dort auch kein Altar errichtet. Der Ort ist nur in dem Moment heilig, in dem Gott Mose erscheint. Alle Heiligkeit leitet sich nach biblischem Verständnis von Gott ab. Heilig kann ein Ort nur sein, wenn er von Gott erwählt ist und Gott an ihm präsent ist. Ein heiliger Ort ist ein Raum, indem der unverfügbare Gott es ermöglicht, ihn zu erfahren (Sacharja 2,16). In diesem Sinne ist das verheißene Land in der Vergangenheit ein heiliges Land gewesen. Die Macht Gottes hat sich gemäß des Alten und Neuen Testamentes mehrfach an diesem Ort in Raum und Zeit geoffenbart.

Ob das sogenannte Heilige Land auch heute ein Ort der Beziehung zu Gott ist, entscheidet sich auf menschlicher Seite daran, ob in ihm von Gott erzählt wird und seine Heiligkeit verkündet wird. Kein politischer Konflikt, sondern nur das gesprochene oder gelesene Wort ist in der Lage, eine lebensrelevante Verbindung zwischen einem Ort und einem sich dort in der Vergangenheit ereigneten Geschehen herzustellen. Ohne Sprache ist ein Ort bloß ein Ort und ohne Interpretation bleibt ein fern zurückliegendes Ereignis ohne Folgen im Heute. Glaube lebt von erinnernden Erzählungen. Für Juden, Christen und Muslime gehört die Erzählung der Landverheißung zur Identität ihres Gottes, bzw. zu ihrem jeweiligen Gottesbild. Wer von dem Gott Abrahams erzählt, spricht als Jude, Christ oder Muslim von dem Gott, der die Landverheißung an das Volk Israel gegeben hat – und als eigentlicher Landbesitzer alleine über das Land verfügen kann. Durch die Erzählungen anerkennt der Gläubige Gottes Besitz- und Eigentumsanspruch, und er grenzt das von Gott erwählte Heilige Land von anderen Gebieten ab. Es wird ein sakraler Raum geschaffen, von dem die Gläubigen hoffen, dass Gott sich ihn erneut als heiligen Ort auserwählen wird und sich darin erfahrbar werden lässt. Dazu bedarf es einer Offenheit für Gottes Gegenwart, wie sie die Architektur des Jerusalemer Tempels vorgegeben hat. Im Allerheiligsten, mitten im Tempel, gab es keine von Menschenhand gemachten Götterbilder, es gab keine über Gott geschaffenen Fakten und keine ideologischen Zerrbilder. Dieses leere Heiligtum war offen für die die Leere erfüllende Gegenwart Gottes.

Dieser Beitrag erschien zuerst in „Die Tagespost - überregionale katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur“. Mehr unter www.die-tagespost.de.

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