Ausgabe 17, Juni 2016

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Blutökumene
Für verfolgte Christen ist die Einheit keine Verhandlungssache

Eine byzantinische Ikone in einer katholischen Kirche. Für die orientalischen Christen steht die Konfession an zweiter Stelle, an erster Stelle steht der Wunsch, in der eigenen Sprache Gemeinschaft zu halten und Gottesdienst zu feiern. Dies wird in St. Petrus, Wuppertal-Laaken, in Zukunft möglich sein.

Text Dr. Werner Kleine
Bild Christoph Schönbach

Der Mangel kommunikativer Fähigkei- ten ist die Ursache für die kleinen und großen Konflikte der Menschen. Das gilt für den profanen Alltag ebenso wie für die Suche nach dem Heiligen. Vor allem wenn es um die Frage nach der Wahrheit geht, werden Auseinandersetzungen grundsätzlich; die für das Gelingen von Kommunikation notwendi- ge Offenheit – die Position des Anderen über- haupt wahrnehmen, geschweige denn prinzi- piell verstehen zu wollen – gerät dann oft ins Hintertreffen. Diese Gefahr bedroht von jeher auch die theologischen Auseinandersetzungen des Christentums.

Wahrheit im Konflikt der Interpretationen

Bereits das Neue Testament ist als Ganzes geprägt von einer Reihe solcher Auseinandersetzungen – etwa der Frage der Heidenmission, des Verhältnisses von Juden- und Heidenchristen oder der Einheit einer Kirche aus Heiden und Juden. Die Konflikte erwachsen aus der Notwendigkeit der Interpretation, die jede menschlich-sprachliche Äußerung mit sich bringt. Da das Wort Gottes in menschlicher Weise gesprochen ist, unterliegt es ebenso der Notwendigkeit der Interpretation wie der fleischgewordene Logos selbst, dessen Zeichen und Machttaten in sich eben auch ohne zwingende Eindeutigkeit waren. Nicht umsonst muss sich Jesus selbst gegenüber seinen Gegnern verteidigen:

Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus
Markus 3,22

Der Streit wird von Schriftgelehrten entfacht, die im griechischen Urtext als γραμματεῖς (gesprochen: grammateîs) bezeichnet werden, also von Menschen, die im Umgang mit dem geschriebenen Wort und dessen Deutung geübt sind. Es ist ein Streit um die rechte Interpretation der Zeichen und Machterweise Jesu: Sind sie Teufelszeug oder Gotteswerk? Und Jesus lässt sich in den folgenden Versen auf intellektuellem Niveau auf diesen Streit ein. Er führt Argumente an und geht logisch vor: Eine Familie kann keinen Bestand haben, wenn sie gespalten ist. Sein Fazit schließlich lautet:

Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.
Markus 3,28f

Das Scheitern der Verkünder der Wahrheit

Die Sünde wider den Heiligen Geist besteht nach Jesus eben darin, das Wirken des Heiligen Geistes als solches zu leugnen. Dabei sind nicht nur Geist und Wahrheit auf das Engste miteinander verbunden, wie es im Johannesevangelium heißt:

Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Johannes 4,23-24

Der Heilige Geist ist auch der Garant für die Einheit der Glaubenden. Nicht umsonst mahnt daher der Autor des Epheserbriefes:

Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.
Epheser 4,3-6

Ein Blick auf die gegenwärtige Situation der Christgläubigen in aller Welt zeigt freilich, dass es um diese Einheit nicht gut bestellt ist. Nicht nur, dass die eine Kirche in zahlreiche Konfessionen gespalten ist; auch die Solidarität mit den verfolgten Christen lässt zu wünschen übrig. Dabei ist es gerade die Situation der Verfolgung, der Christen in den Konfliktgebieten der Gegenwart – in Syrien und im Irak, aber auch in den Kriegsgebieten Afrikas – ausgesetzt sind, die zum Fanal und zur Bewährungsprobe der Christenheit wird.

Blutökumene

Die Situation der verfolgten Christen wird zu einer Bewährungsprobe für die Christenheit überhaupt. In Wuppertal etwa konstituiert sich in diesen Tagen eine Gemeinschaft syrischer Christen. Es sind Christen syrisch-orthodoxen, syrisch-katholischen, melkitischen und chaldäischen Glaubens. Es sind Christen, die normalerweise nach Konfessionen und Riten getrennt sind. Es sind Christen, die erkennen, dass der Glaube an den vom Kreuzestod Auferstandenen verbindet. Es sind Christen, die durch die konkrete Verfolgung in Syrien und im Irak auf den Urgrund des Glaubens geworfen und so geeint wurden. Sie selbst sprechen von der Blutökumene. Die nackte Existenz kennt eben keine Kompromisse mehr. Der Glaube ist für sie keine fromme Theorie mehr, sondern eine lebenserhaltende Notwendigkeit, in der die interpretativen Streitigkeiten verschwinden. Sie erleben die einende Kraft des Glaubens an den vom Kreuzestod Auferstandenen, von der Paulus angesichts der sogenannten korinthischen Spaltung (vgl. hierzu 1 Korinther 1,10-17) sagt:

Daher soll sich niemand eines Menschen rühmen. Denn alles gehört euch; Paulus, Apollos, Kephas, Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch; ihr aber gehört Christus und Christus gehört Gott.
1 Korinther 3,21-23

Handeln ist Beten

Die Situation der verfolgten Christen ist im satten Europa zu wenig im Blick. Hier und da gibt es Gebetsaufrufe. Aber was soll ein Gebet helfen, außer dass die Beter sich der Sentimentalität des guten Willens hingeben können. Tatsächlich mahnt Paulus ja:

Betet ohne Unterlass!
1 Thessalonicher 5,17

Dass damit nicht nur das fromme Falten der Hände gemeint ist, wird wenige Verse vorher deutlich. Dort sagt Paulus:

Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun.
1 Thessalonicher 5,15

In der gegenwärtigen Situation heißt das Folgendes:
1. Laut auf die Situation der verfolgten Christen aufmerksam zu machen. Appelle alleine helfen nicht weiter. Die Verfolger werden bloßer Appelle wegen nicht mit ihrem todbringenden Werk aufhören. Der laute Ruf aber ist ein Zeichen der Solidarität, die sich nicht nur im Wort auswirken darf, sondern
2. konkret in der Aufnahme der Verfolgten auswirken muss. Paulus spricht von einem Bemühen. Wahres Beten, das zum Handeln wird, macht Mühe. Der laute Ruf darf deshalb nicht verhallen. Politiker und Kirchenvertreter müssen gedrängt werden, alles zu tun, um die aufgrund ihres Glaubens Verfolgten in Sicherheit zu bringen,
3. müssen unsere Gemeinden selbst die Solidarität nicht nur in Fürbitten formulieren, sondern auch konkret üben. Es gilt, sich selbstkritisch zu hinterfragen, ob die christliche Gastfreundschaft über die bunten Begegnungsfeste hinaus auch wirklich gilt. Die verfolgten Christen, die zu uns kommen, sind mehr als Gäste. Sie sind Glaubensschwestern und –brüder. Sie aufzunehmen, ist kein Akt der Gastfreundschaft, sondern eine Glaubenspflicht, die die Gewohnheiten übersteigt.

Wenn die Christen hierzulande so für die verfolgten Christen beten, laut und mit dem Willen zum konkreten Handeln, dann wird eine neue Ökumene wachsen. Die Unterschiede der Interpretation werden vor der nackten Wahrheit bloßer Existenz: klein. Doch sie sind deshalb nicht unwichtig; wer die Wahrheit sucht, muss mit ihr und dem anderen ringen. Das Lippenbekenntnis zur Einheit in Vielfalt bekommt Herpes, wenn es nicht konkretisiert wird.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und neu redigierte Version des gleichnamigen Beitrags, der im biblischen Weblog der Katholischen Citykirche Wuppertal „Dei Verbum“ unter www.dei-verbum.de/blutoekumene/ veröffentlicht wurde.

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