Ausgabe 16, Dezember 2015

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Frisch aus dem Abfallcontainer
logisch! hat Mülltaucher bei ihrer Suche nach Lebensmitteln begleitet

Ein Papp-Kreuz mit der Aufschrift „Solidarität“. Warum die Foodsharer dafür ein Kreuz gewählt haben, daran erinnern sich die Aktivisten nicht.

Text und Bilder Eduard Urssu

Kurz nach 23 Uhr im Wuppertaler Osten. Wo genau, darf nicht verraten werden. Georg bleibt nur einen flüchtigen Moment vor dem Lebensmitteldiscounter stehen, geht dann zügig um den Eingangsbereich herum. Jetzt muss es schnell gehen, keine unnötige Aufmerksamkeit erregen und keine Zeit verlieren, denn der Platz ist von Wohnhäusern eingerahmt. Jederzeit könnte ein Anwohner Alarm schlagen. Theoretisch; „aber“, so beruhigt mich Georg, „in dieser Gegend interessiert das eh niemanden.“ Die Taschenlampe hat er schon in der Hand, jetzt noch den Rucksack vom Rücken und – ab in den Container. Georg sucht nach Lebensmitteln. Diesmal ist die Ausbeute nicht überragend, er findet nur etwas Gemüse, das zudem wenig appetitlich aussieht. Das liegt vielleicht auch an der olfaktorischen Zumutung in der Tonne: es stinkt. Nach gammeligen Abfällen. Und Abfall ist es nun mal, strenggenommen. Trotzdem, alles wird schnell „eingetütet“. Den Containerstandort verrät Georg nur ungern. Schon gar nicht anderen Mülltauchern. Mülltaucher, Dumpster Diver oder auch Containerer – Georg ist einer von ihnen. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Und Georg heißt er auch nicht. Paranoid? Nein, paranoid sei er nicht, sagt Georg, aber in der Dumpster-Szene bekannt, und Spots, also die guten Standorte, verraten?, fragt er rhetorisch. „Das kommt da nicht gut an“, sagt er. Gut kommt es, wenn Georg am Wochenende unterwegs ist. Dann landen besonders viele Milchprodukte im Container. „Die werden noch vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert“, weiß er aus Erfahrung. „So viel kann kein Mensch essen, was, nicht nur hier, einfach weggeworfen wird.“

Brot wegwerfen?

Was weniger geworden ist, ist die große Auswahl an Brot. „Wenn noch bis kurz vor Ladenschluss das Sortiment gefüllt sein muss, damit der Kunde auch noch in den letzten Minuten die Auswahl hat, dann wandert der Rest kurz darauf in ‚meine’ Tonne“, sagt Georg und schüttelt verständnislos den Kopf. Richtig „schlimm“ sei es in den Supermärkten, die im Gebäude oder angrenzend eine externe Bäckerei haben. „Dort wird auf jeden Fall mehr weggeworfen. Da gibt es Verträge, in denen die Bäckereien dazu verpflichtet werden, dass das Sortiment und die Anzahl bis zum Ladenschluss stimmen. Bei den Backstationen der Discounter fällt nicht mehr so viel ab. Die Discounter stellen das Backen oder Aufwärmen ja auch immer früher ein“, sagt Georg. Und er ist gut informiert. Aber auch empört. Nicht nur über den Müllwahnsinn und speziell über die Verschwendung von Brot. Seine Großmutter, so erinnert sich Georg, die immer erzählte, dass sie während und nach den Kriegsjahren oft hungern musste, „würde sich schämen, wenn sie wüsste, wie wir heute mit Brot umgehen“. Über die juristischen Konsequenzen, falls er beim Containern erwischt werden würde, weiß Georg Bescheid. Aber vor einer möglichen Anklage wegen Hausfriedensbruch hat er keine Angst. Seit ungefähr fünf Jahren treibt er sich regelmäßig abends an den Supermärkten rum. Erwischt wurde er noch nie. Immer auf der Suche nach Essbarem, natürlich nach den offiziellen Öffnungszeiten, kamen für ihn Hilfsangebote nicht infrage. Mit der Wuppertaler Tafel zum Beispiel kann Georg nichts anfangen. Auch wenn er eine Zeit lang unter dem Existenzminimum lebte, wie er selbst sagt. Aber sich in die Warteschlange am Werth oder in der Schoßbleiche einzureihen, das wäre nichts für ihn. Vielleicht braucht Georg auch den Kick, den er bei seinen nächtlichen Streifzügen spürt. Darauf angesprochen, schiebt er es auf das Alter: „Ich glaube, mit Mitte oder Ende 40 machst du das nicht mehr, dann reihst du dich ein. Aber jetzt, mit Ende 20, da geht das noch.“ War er anfangs noch auf die gefundenen Lebensmittel angewiesen, so bezeichnet sich Georg jetzt als Mülltaucher aus Prinzip. Dass sie zum großen Teil aus dem Abfallcontainer kommen, damit hat er kein Problem. Im Gegenteil, es macht ihn sogar zufriedener, weil es nicht im Müll landet.

Kein Einzelfall

Der Foodsharer-Kühlschrank im Café Stilbruch wird regelmäßig aufgefüllt – hier von Foodsharerin Sarah.

Mit dieser Einstellung ist Georg nicht alleine. Auch Thomas (Name geändert) ist Teil der Mülltaucher-Szene, allerdings in einem anderen Teil der Stadt. Und mit seinen 27 Jahren hat er schon jede Menge aus dem Abfallcontainer auf seinen Esstisch gebracht. Auch Thomas war wie Georg zu Beginn seiner Container-Zeit auf diese Lebensmittel angewiesen. Doch auch seine persönliche Situation ist mittlerweile entspannter. So wie sein Umgang mit den Spots. Das mit der Geheimhaltung der Spots, dass hat er nie so eng gesehen, sagt er, „ich freue mich, wenn auch andere davon profitieren“. Dafür spricht, dass Thomas beim Containern selten allein unterwegs ist: „Wir fahren meistens zu zweit.“ Wohin? „Am liebsten zu Netto. Netto ist total super. Einfach zugänglich und immer gut was drin. Man darf sich nur nicht erwischen lassen.“ Bei der Nachfrage, ob er schon erwischt wurde, winkt Thomas ab. „Einfach unauffällig bleiben, nicht zu spät kommen, aber dunkel muss es schon sein“, rät er. „Und keinen zusätzlichen Müll hinterlassen! Dann muss auch niemand die Container oder den Platz zusätzlich absichern.“

Aus Protest

Aber sein letzter „Besuch“ bei Netto sei schon eine Weile her, erklärt Thomas. In den letzten zwei Jahren wurden sie immer seltener, weil er nun anders gegen die von ihm angeprangerte Wegwerfmentalität vorgehen will. Die Supermärkte sollen von sich aus weniger wegwerfen, sagt er. Und das, was weg muss aber noch gut ist, soll direkt an Hilfsorganisationen gehen. Deshalb engagiert sich Thomas bei den Wuppertaler Foodsharern. Gemeinsam mit anderen Aktivisten betreut er im Café Stilbruch einen der drei Fairteiler-Plätze in Wuppertal. Das ist auch der Grund dafür, dass er nicht mit Klarnamen erscheinen möchte: „Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass Lebensmittel aus dem Container bei den Foodsharern landet. Das ist ein persönliches Ding. Wir Foodsharer bekommen unsere Lebensmittel von den Tafeln, teilweise direkt von den Supermärkten oder Privatleuten. Hier kommt nichts aus dem Container.“ Diese Trennung hat Georg noch nicht vollzogen. Auf der einen Seite unterstützt er die Foodsharer in Wuppertal, auf der anderen Seite wird er weiterhin die Müllcontainer der hiesigen Supermärkte nach brauchbaren Lebensmittel durchstöbern. Was im Laden als dem Kunden nicht mehr zumutbar aussortiert wird, „ist in den meisten Fällen doch eigentlich noch gut. Mehr als ‚noch genießbar’. Bloß weil die hier etwas angedellt ist“, sagt Georg und hält dabei eine Tomate hoch, „will der Kunde sie angeblich nicht mehr. Schwachsinn, aber mehr für mich“, und grinst dabei.

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