Ausgabe 13, Dezember 2014

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„Scharia-Polizei? Das regt mich wirklich auf!“
Der Generalsekretär der Wuppertaler Moscheen, Samir Bouaissa, im logisch!-Interview

Interview Eduard Urssu

In Wuppertal ist ein großes Zentrum deutscher Salafisten zu finden. Gleichzeitig ist in der Stadt eine Kernzelle rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppierungen beheimatet. Wuppertal hat die dreckigsten Bahnhöfe Deutschlands. Und Wuppertal ist die grünste Großstadt der Republik. Kurzum: Wuppertal ist ein Ort der Extreme. Was das günstige Verhältnis von Grünflächen zu bebauten Flächen angeht, da können nicht nur die Wuppertaler bedenkenlos zustimmen. Beim Aufbauschen der erstgenannten Aussagen haben die überregionale Presse und die sozialen Netzwerke ihren Anteil gehabt. Denn rein statistisch ist die Zahl radikaler Gruppen in Wuppertal nicht signifikant größer als in anderen Großstädten – wenn man den Berichten des Verfassungsschutzes glauben mag. Warum aber ausgerechnet Wuppertal gerne mit Negativ-Schlagzeilen ins mediale Rampenlicht gezerrt wird, bleibt wohl das Geheimnis der Gag-Schreiber der „Heute Show“ und anderer Medien. Denn es gibt aus der Stadt – konträr zur medialen Effekthascherei – durchaus Positives zu vermelden, und das nicht nur neueren Datums. Bereits seit 1999 gibt es etwa den „Runden Tisch Juden - Christen - Muslime in Wuppertal“, an dem sich Vertreter der jüdischen Kultusgemeinde und des evangelischen Kirchenkreises, des katholischen Stadtdekanats und der großen Moscheegemeinden zu wichtigen Themen von Religion und Gesellschaft austauschen. Zu den Mitgliedern des „Runden Tischs“ gehört auch der Generalsekretär der Wuppertaler Moscheen, Samir Bouaissa. In Zeiten fragwürdiger Aktionen wie der „Scharia-Polizei“ und dem Auftreten rechtspopulistischer Gruppen, schätzt er die Diskussionsrunde als wichtige Instanz der Aufklärung.

Redaktion: Herr Bouaissa, welche Aufgaben kann solch eine Expertenrunde übernehmen?

Bouaissa: Am Runden Tisch sitzen nicht nur Experten. Auch einfache Menschen aus den Gemeinden versuchen, einen Konsens in theologischen Fragen zu erzielen. Das Meiste was uns daran hindert gut zusammen zu arbeiten, sind die Vorurteile auf beiden Seiten. Daher ist die Aufklärungsarbeit des Runden Tischs unerlässlich.

Redaktion: Aufklärungsarbeit bedeutet auch, Unterschiede herauszuarbeiten – Unterschiede zwischen den Religionen. Wie gehen Sie damit um?

Bouaissa: Der gegenseitige Respekt und die Akzeptanz des Anderen, davon sind unsere Diskussionsrunden getragen, das ist entscheidend für ein friedliches Miteinander. Jeder Gläubige geht davon aus, dass seine Religion die einzig wahre Religion ist. Die Kunst im Leben ist, zu akzeptieren, dass es viele Wahrheiten gibt – für jeden Menschen seine eigene.

Redaktion: Es mag sein, dass mehr als nur eine Wahrheit existiert. Wie steht es aber um die Gesetzgebung? Die ist im besten Fall immer eindeutig. Immer häufiger ist zu hören, dass die Scharia, die islamische Gesetzgebung, eine parallele juristische Instanz sein könnte. Wie wirken sie solchen Äußerungen entgegen?

Bouaissa: Einige unserer Diskussionsrunden sind öffentlich, Mitdiskutieren ist ausdrücklich erwünscht, wie zum Thema Grundgesetz. Wichtig war uns hier vor allem die „Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz“. Dabei haben wir schnell gemerkt, dass wir uns in der Hinsicht doch näher sind, als viele im Vorfeld vielleicht dachten. Die Scharia ist kein Gesetzbuch an sich, sondern eine Sammlung von Verhaltensregeln für Muslime, von „Du sollst Dein Gegenüber grüßen“, bis hin zu „Wie funktioniert die Wirtschaft?“. Diese Sammlung speist sich aus dem Koran und den Lebenserfahrungen des Propheten, sowie der Interpretation von beidem. Und da die Scharia für alle Zeiten Gültigkeit haben soll, ist sie immer einer Interpretation unterlegen. Das heißt, ich kann nicht in einem Buch nachlesen und da steht wörtlich drin: „Du musst dies und das tun“, sondern es muss immer für die jeweilige Zeit und die jeweilige Gesellschaft interpretiert werden. Was die Menschen immer irritiert, und der Scharia immer unterstellt wird, ist, dass sie andere Gesetze ersetzen soll. Das ist nicht richtig! Denn eine der Regeln der Scharia ist, und da sind sich die Gelehrten einig, dass die Gesetze des Land, in dem man lebt, zuerst gelten.

Redaktion: Das Problem sind vielleicht die verwirrten Geister, die auf eine wörtliche Auslegung der Scharia bestehen, und dies auch offensiv in der Öffentlichkeit tun. Ein Beispiel dafür in jüngster Zeit ist ja die sogenannte Scharia-Polizei.

Bouaissa: Das regt mich wirklich auf. Wir haben uns als Wuppertaler Moscheegemeinde deutlich gegen solche Aktionen ausgesprochen. Die Scharia braucht keine Leute, die sich als Scharia-Polizisten ausgeben und andere Menschen unter Druck setzen. Das ist kein Jungenstreich mehr! Und es widerspricht einem Grundsatz des Islam: „Keinen Zwang im Glauben“. Wenn ich als geborener Muslim nach den Regeln der Scharia lebe, dann ist das meine Entscheidung. Wenn ich aber nicht nach den Regeln leben möchte, dann ist das auch meine Entscheidung. Was mich besonders ärgert, ist, dass diese Gruppierungen den Koran auf ihre Weise wörtlich auslegen, im Gegensatz zu dem, was uns der Koran selbst sagt: „Das wir verstehen und unseren Verstand dazu benutzen sollen.“ Auf der anderen Seite springen auch die rechtsradikalen und rechtspopulistischen Gruppierungen auf diesen Zug, und legen den Koran wörtlich aus. Und 98 Prozent der Muslime stehen da, und werden von beiden Seiten unter Druck gesetzt. Aber wir lassen uns nicht die Interpretationshoheit über unseren Glauben von einzelnen radikalen Gruppen nehmen. Wir wollen friedlich zusammenleben, auf dieser Welt, in diesem Land.

Redaktion: Leider dominieren genau diese restlichen zwei Prozent seit einiger Zeit die öffentliche Wahrnehmung von Muslimen. Machen Sie den in Glaubensfragen radikalisierten Menschen Angebote?

Bouaissa: Natürlich, wir laden die jungen Menschen ein, in die Moscheen zu kommen, und sich über den Glauben zu informieren. Wir möchten mit ihnen ins Gespräch kommen. Gerade weil es die jungen Menschen sind, die nicht regelmäßig in die Moscheen gehen, und den „wahren“ Glauben vorgelebt bekommen, und dann selber leben, die sich diesen radikalen Gruppen anschließen. Sie haben Probleme, stecken vielleicht in einer Sinnkrise, sind auf der Suche. Denen könnte man vermutlich irgendeine Ideologie präsentieren, in der sie stark und in einer Gruppe eingebettet erscheinen. Ich glaube, sie würden da jeder Gruppierung folgen – das nutzen die radikalen Islamisten aus. Dem kann von unserer Seite nur mit Prävention und Information entgegengewirkt werden. Für Sanktionen ist der Staat zuständig. Wir, die Moscheegemeinden und Muslime, müssen mit der Gesellschaft, mit der Kommune, mit allen relevanten Vereinigungen Hand in Hand arbeiten und über den Glauben aufklären. Nur wer seinen Glauben wirklich kennt, der ist immun gegen die Plattitüden dieser Gruppierungen.

Redaktion: Würde es nicht helfen, wenn die Moscheegemeinden diese radikalen Gruppen mit ihrer wörtlichen Interpretation des Korans als „falsche“ Muslime ächten?

Bouaissa: Das würde einem wichtigen Punkt unseres Glaubens widersprechen. Ein Moslem wirft einem anderen Menschen, der von sich behauptet Moslem zu sein, nicht vor, dass er kein Moslem sei. Dieses in Abrede stellen von Glaubensidentität, das ist das Vorgehen der Terrorgruppe Islamischer Staat. Das machen wir nicht. Auf dieses Niveau begeben wir uns nicht.

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