Ausgabe 13, Dezember 2014

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Das Internet hat Schuld! Oder?
Was süße Kätzchen mit blutrünstigen IS-Terroristen und demokratieverliebten Hooligans zu tun haben.

Ein Kommentar von Eduard Urssu

Da hat doch jemand unlängst behauptet, das Internet trage Schuld am Niedergang der Unterhaltungsshow „Wetten, dass..?“. Alles Kaffeesatzleserei, dachte ich im ersten Moment. Dass Problem ist nur, je häufiger mir solch bizarre Sachverhalte begegnen, desto mehr freunde ich mich mit entsprechenden Theorien an. Auch mit der Theorie „Das Internet ist Schuld am Scheitern eines antiquierten Unterhaltungskonzeptes“. Das Internet und überhaupt moderne Kommunikation mögen für die Generation der „Digital Natives“ ein Segen sein. Doch was wissen die schon vom wirklichen Leben. Jahrgang 1985 und jünger – das Schuhe zubinden haben die doch mit Klettverschlüssen gelernt. Und doch, Meinungsmache und die virale Verbreitung von Informationen, seien sie nun falsch oder richtig, funktionieren in dieser Altersgruppe über das Internet, vor allem über die einschlägig bekannten sozialen Netzwerke, einfach schneller und effektiver. Dort werden die „ach, wie süßen“-Katzenvideos genauso oft „gelikt“ wie die grausamen Bilder von Enthauptungen der IS-Opfer in Syrien und im Irak. Was dieses „like“ genau meint, scheint völlig irrelevant – entscheidend für den Macher und den Konsumenten ist lediglich seine Anzahl. Denn in dieser digitalen Parallelwelt sind beide – Kätzchen und IS-Terroristen – so etwas wie Popstars. Gemessen an ihren Klicks. Und ein scheinbar dumpfes Publikum, welches per Mausklick applaudiert, feuert die Protagonisten weiter an. Mit Folgen: Die süßen Kätzchen werden noch süßer und tollpatschiger, die Macheten der IS-Terroristen noch stumpfer und blutiger. Und die klassischen Medien? Die hängen sich gleich mit dran und geben so ein großes Stück ihrer Seriosität an der Garderobe ab. Was waren das doch für Zeiten, als Gabriele Krone-Schmalz und Gerd Ruge von den Welt bewegenden Ereignissen in Russland berichteten. Der Putsch im Riesenreich und die ARD war mit gut ausgebildeten Journalisten vor Ort. Die Korrespondenten bereiteten Fakten auf, präsentierten mehrere Meinungen, Einschätzungen, Prognosen, klopften Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt ab, verbaten sich populistische Spekulationen. Unvergessen auch Ruges Berichte aus dem ARD-Studio in Moskau: Informationen aus erster Hand, abgeschöpft unter Einsatz seiner Gesundheit, sah man ihm doch die langen Wodka- und Zigarrenrauch-geschwängerten Nächte in zwielichtigen Kreml-Hinterzimmern körperlich an. Und seine Informationen kamen an, direkt im heimischen Wohnzimmer. Authentisch? Daran hatte ich nie Zweifel! Heute habe ich allerdings den Eindruck, dass diese Jobs überarbeitete und unterbezahlte Praktikanten übernommen haben. Es fühlt sich so an, als seien diese piepsjungen Gesichter vor löchrige Ziegelwände in Bielefeld gestellt worden, mit Omis selbstgestricktem Pullunder als Splitterschutzweste getarnt. Angeblich berichten sie dann aus Syrien, Kambodscha oder Mali. Halt aus den Regionen, wo gerade die größte Sau durch Dorf getrieben werden kann. Die so präsentierten Informationen kommen mir dann irgendwie bekannt vor. Habe ich doch gerade bei Facebook gelesen, denke ich, und rufe die Seite parallel zur Sendung auf meinem Smartphone auf. Tatsächlich, gleicher Wortlaut. Die Quelle ist aber unbekannt. Vermeintliche Fakten, die letztlich ein trübes Filtrat bilden, abgeschöpft aus der digitalen Sickergruppe „Internet“. Qualitätsjournalismus? Fehlanzeige! Meinungsmache? – Ganz großes Tennis!

Apropos trübe Soße im Internet. Nur über Facebook und Co. erreicht man wohl alle Knalltüten dieser Republik, um ihnen dann ein Weiß für ein Schwarz vorzumachen. Oder wie lässt es sich sonst erklären, dass sich Hooligans auf dem Domvorplatz in Köln neuerdings als lupenreine Demokraten verkaufen können? Und wie konnte diese „demokratische Speerspitze“ in so kurzer Zeit so viele Sympathisanten und Unterstützer mobilisieren? War das eine Facebook-Party? Und bilden jetzt also die Hooligans und die ganzen anderen Rand-Abfischer die letzte wehrhafte Instanz vor dem Einfall des IS? Unglaublich! Ein paar Wochen zuvor war das doch schon die Schar von ein paar Hells-Angels-Rockern, die Kreuzrittern gleich, gemeinsam mit kurdischen Kämpfern die IS-Terroristen in der syrisch-türkischen Grenzstadt Kobane bekämpften. Zumindest habe ich da ein „Selfie“ im Internet entdeckt. Darunter stand dann: „Hells Angels verteidigen Freiheit und Demokratie“, oder so ähnlich. Da bekomme ich doch Nesselfieber! Und das behandele ich doch auch nicht mit einer Ferndiagnose per Google-Internetrecherche. Wenn man doch Nesselfieber eingibt, kommt als Autoergänzung dann „Pferd“. Und von diesem möchte ich mir schon lange nichts mehr erzählen lassen. Schon gar nicht von irgendwelchen Korrespondenten in Bielefeld mit einem Smartphone statt einem Mikrofon in der Hand. Ausgezeichneter Qualitätsjournalismus muss es nicht unbedingt sein, aber handwerklich sauber wäre schon ganz schön. Wenn alle Informationen im selben Topf gekocht werden, ist das dann wie früher im Kunstunterricht. Mein Malkasten hatte 24 Farben plus Deckweiß. Die Vielfalt der Farben faszinierte mich, und so versuchte ich, alles miteinander zu kombinieren, alles zu vermischen. Und am Ende kam nur braune Soße raus.

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