Ausgabe 11, März 2014
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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„Offene Worte zur richtigen Zeit:
Vielen Dank, Kardinal Rodríguez!“
Die Erneuerung der Weltkirche hat längst begonnen Europa lernt von Lateinamerika

Ein Debattenbeitrag von Dr. Werner Kleine

Als Jorge Kardinal Bergoglio zum Bischof von Rom gewählt wurde, setzte er bereits am Abend seiner Wahl erste wichtige Zeichen. Die Verneigung des neu gewählten Papstes vor dem auf dem Petersplatz versammelten Volk war mehr als eine Geste. Sie war ein Symbol für einen neuen Weg. Die ehemals eurozentristische Kirche ist seitdem lateinamerikanischer geworden. Die Kirche profitiert von den Erfahrungen des lateinamerikanischen Kontinentes. Daran haben Sie, Erzbischof Oscar Andrés Kardinal Rodríguez Maradiaga wesentlichen Anteil, denn Sie wurden von Papst Franziskus zum Koordinator des neu eingerichteten Kardinalrates ernannt.

Ich bin Ihnen sehr dankbar für das Interview, das am 20. Januar 2014 im Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht wurde. Sie schlagen darin neue Töne an, auf die man auch in Deutschland lang gewartet hatte. Ihre klare und im besten Sinn „unfromme“ Sprache ist nicht nur erfrischend, sondern gerade deswegen pastoral bedeutsam. Man hat gerade nicht das Gefühl, hier würden fromme Worte gemacht, um das Volk mit spirituellem Opiat zu versorgen. Statt die unangenehmen Fragen unter den Teppich zu kehren, legen Sie die aktuellen Probleme offen auf den Tisch. So benennen Sie klar den Widerspruch, der das kirchliche Handeln der letzten Jahre gelähmt hat: Die Doktrin stand über allem, der Mensch musst der Doktrin genügen. Sie sprechen das offen an und fordern mehr Pastoral als Doktrin, ohne dabei die Bedeutung der kirchlichen Lehre zu schmälern. Aber Sie rücken den Menschen wieder in den Mittelpunkt. „Barmherzigkeit“ wird so nicht nur zu einem frommen Lippenbekenntnis. „Barmherzigkeit“ ist die Herausforderung, trotz der hehren Forderungen der Lehre, die Möglichkeit des Scheiterns anzuerkennen. Wo die Wahrheit vorher wie in kalten Marmor gemeißelt war, fängt wieder ein Herz aus Fleisch an zu schlagen.

Papst Franziskus hat den Bischöfen in aller Welt mehr Mut zum Handeln empfohlen. Briefe aus Rom sollten zur Kenntnis, aber nicht allzu ernst genommen werden. Die deutsche Mentalität hört das wohl, aber ihr fehlt bisweilen der Glaube. Zu sehr ist das Fürstbischöfliche noch im kollektiven Gedächtnis verankert. Es gibt bei uns das Sprichwort, dass, wenn Rom befehlen würde, die Katholiken sollten zehn Zentimeter hoch springen, sie hierzulande zur Sicherheit einen Meter hoch springen würden. Sie haben das in dem erwähnten Interview auf wunderbare und vor allem humorvolle Weise aufgenommen, als Sie auf den Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, und die von ihm vertretene unhinterfragbare Autorität der Kirche und ihrer Lehre anspielen. Lakonisch stellen Sie fest: „Okay, vielleicht hast Du Recht, vielleicht aber auch nicht.“ Und Sie fügen hinzu: „Ich meine, ich verstehe ihn: Er ist Deutscher – ja, ich muss sagen, er ist obendrein Professor, ein deutscher Theologieprofessor. In seiner Mentalität gibt es nur richtig oder falsch, das war’s. Aber ich sage: ‚Die Welt, mein Bruder, die Welt ist nicht so. Du solltest ein wenig flexibel sein, wenn du andere Stimmen hörst, damit du nicht nur zuhörst und sagst, nein, hier ist die Wand.’“ Sympathischer hat kaum ein hochrangiger Vertreter der Kirche uns Deutschen und diesem besonderen Vertreter deutscher Sicherheitsmentalität den Spiegel vorgehalten.

Lieber Kardinal Rodríguez Maradiaga, ich muss sagen, Sie machen mir neuen Mut. Nicht dass ich diesen in mehr als 20 Jahren pastoralem Dienst je verloren hätte. Aber Sie bestärken mich, den Menschen immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wir lernen – ich lerne – von Lateinamerika: Gelassenheit, Humor und Gottvertrauen. Dafür bin ich Ihnen zutiefst dankbar. Denn auch das gehört dazu: Sie reden nicht nur von der Veränderung der Kirche, sie verändern sie. Wir Europäer brauchen genau das!

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