Ausgabe 11, März 2014

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Warum nur MacGyver die Welt mit einem Kugelschreiber retten kann
Von Unterschriften, Petitionen und Petitionen gegen Petitionen

Text Janina Kusterka

Dies ist kein Zeitungsartikel! Sollten Sie das gedacht haben, dann irren Sie. Dies ist eine Petition. Bitte fühlen auch Sie sich sofort aufgerufen, meinen Petitionsunfug zu unterstützen. Es wird Ihr Schaden nicht sein. Sie werden mir zustimmen müssen. Außerdem sind Petitionen absolut angesagt. In ist, wer unterschreibt. Also: Machen Sie einfach mit!

Mit dieser Petition fordere ich eine Sonnenquotenregelung für Wuppertal und das Verbot von Dönern in der Schwebebahn; maximal 20 Prozent Regentage und Überdachungen an Fußgängerampeln mit überproportional langen Rotphasen. All das ist wichtig für ein besseres Leben in Wuppertal. Es erhöht die Lebensqualität und fördert die Harmonie. Die exorbitant vielen Regentage im Tal erfordern zudem ein schnelles und beherztes Eingreifen von Truppen der Genfer Menschenrechtskonvention. Mindestens. Klimatisch sollten wir Orten wie München, Rom oder Basel gleichgestellt werden.
Sie finden das alles übertrieben und wirklichkeitsfern? Dann halten Sie mich doch auf: Unterzeichnen Sie eine Petition gegen Leute, die Petitionen stellen. Die gab es nämlich schon wirklich.

Bequeme Empörungskultur

Man empört sich eben gern in diesen Zeiten. In Stuttgart erzürnten sich die Bürger offline. Und zwar so sehr, dass gar ein neuer Terminus erfunden werden musste: Wutbürger. Online hingegen unterzeichnen die Leute wild, was Ihnen gerade so unter den Mauszeiger gerät. Es kommt zur regelrechten Pervertierung der Petition. Jeder, der meint, eine Unvollkommenheit in der Welt ausgemacht, oder einen Verbesserungsvorschlag in petto zu haben, der entwirft sogleich eine Petition und sucht Unterstützer. Vor allem, wenn man seine Petition online stellen kann und die Unterschriften ganz von alleine dazukommen, ist das eine bequeme Angelegenheit. Ohne mühseliges sammeln von Unterschriften in Fußgängerzonen. Das war wirklich grässlich, als man das noch tun musste. Online ist alles ganz prima und schnell erledigt. Selbst mit persönlichen Petitessen findet jeder online Gleichgesinnte. Zumindest einige. Eine Petition gegen Markus Lanz unterzeichneten 230.000 Menschen bevor sie gestoppt wurde. Das sind so viele Menschen wie Magdeburg oder Aachen Einwohner haben. 230.000 gegen einen. Klingt unfair, unverhältnismäßig. Diese digitale Hetzjagd missfiel auch dem Kabarettisten Dieter Nuhr, der daraufhin eine Petition gegen den Petitionswahn startete. Eine Online-Petition gegen Online-Petitionen. Tragischerweise scheiterte Dieter Nuhr damit schon nach wenigen Stunden, weil seine Petition von den Betreibern der Plattform openpetition.de gelöscht wurde. Ebenso erging es der Petition gegen die Schließung der Online-Petition von Dieter Nuhr gegen die Stellung von Online-Petitionen. Können Sie dem Ganzen noch folgen? Man kann hierbei schnell den Überblick verlieren, während sich der Petitionswahn im Internet munter weiter dreht. So richtig ernst kann es kaum einer mehr nehmen. Ein Land versinkt in Petitionswut.
Petitionen sind ein Mittel der direkten Demokratie. Jeder Bürger kann so sein Anliegen vor dem Petitionsausschuss vorbringen. Dieser darf zwar selbst keine Gesetzte ändern, aber Vorschläge machen, wenn er zum Beispiel feststellt, dass ein Gesetz eine Person stark benachteiligt.
So wird es möglich, indirekt auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen oder sich gegen Behörden zu behaupten. Ob von Erfolg gekrönt oder nicht, die Bürger können ihre Anliegen zu Gehör bringen.
Leider geben einige Menschen den Verstand bei ihrem Browser ab. Die digitalen Medien sind nicht immer vernunftbegabt. Wie sonst ließe sich erklären, dass Petitionen gegen einzelne Menschen gestellt werden. Oder etwa die Petition, dass allen Politikern in regelmäßigen Abständen eine Ohrfeige gegeben werden sollte.
Der Gedanke hinter den meisten Petitionen ist verständlich. Über eine Ohrfeigenquote für Politiker könnte man lachen und würde es vielleicht sogar selbst fordern; am Stammtisch. Doch im Netz werden solche Parolen als Petitionen formuliert – und dabei gehen wirklich wichtige Forderungen unter. Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit treten hinter Populismus zurück.

Sollten wir also doch mit Klemmbrettern durch die Stadt gehen, um Unterschriften zu sammeln und unsere Anliegen kund zu tun? Vielleicht. Natürlich darf das Internet helfen. Sehen wir einmal über unseren Tellerrand hinaus in die Ukraine, nach Afghanistan oder nach Ägypten. Das Internet half den Menschen, sich zu organisieren, um sich für eine Sache einzusetzen und das System zu ändern. Dass es nicht mit ein paar Klicks getan ist, zeigt sich jedoch ebenso. Die Menschen dort forderten keine Kleinigkeit, sie wollten das Leben nicht bloß ein wenig bequemer machen. Am Ende sollte alles anders sein. Doch eine Unterschrift ändert ein System nicht einfach. Es sei denn, man selbst ist das System. Jeder andere muss seine Forderungen auf der Straße vertreten – auch wenn er sich online organisiert – aktiv Unterstützer suchen und konkrete Forderungen stellen. Besser wird deshalb noch lange nicht alles. Der arabische Frühling wurde schnell zum Herbst, dann zum Winter. Besser mag es noch nicht sein, aber anders. Dass Bürger durch Demonstrationen ihre Ziele erreichen können, zeigten jüngst die Ukrainer. Viktor Janukowitsch ist abgesetzt. Ob nun alles gut wird, ist auch damit nicht gesagt, doch es ist nicht abzustreiten, dass eine Bewegung in Gang gesetzt wurde. Fest steht, dass die Menschen selbst eine Veränderung herbeigeführt haben.

Der Kugelschreiber

Wenn wir etwas erreichen wollen, dann muss man uns ernst nehmen. Wir müssen vernünftige Forderungen stellen und uns auch persönlich engagieren. Und genau da scheitert so manche Online-Petition: es fehlen das persönliche Engagement und die Gesichter hinter der Sache. Online-Petitionen werden gerne von anonymen Personen unterzeichnet, die sich hinter Pseudonymen verstecken. Sie grölen am Stammtisch fröhlich die Parolen mit, wollen aber keinesfalls nach Lokalschluss damit zusammenkommen oder gar Arbeit haben. Sie sind beschäftigt genug, ihren Kater vom Vorabend zu kurieren. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen. „Facebook-Revolution!“ und „Internetrevolution!“ jubelten die Zeitungen, als in Ägypten und anderswo die Proteste begannen. Die Wahrheit ist: die Revolution fand vor allem offline statt. Online sterben keine Menschen und eine digitale Unterschrift verändert nicht die Welt. Auch eine analoge Unterschrift verändert die Welt nicht. Der einzige, der die Welt mit einem Kugelschreiber retten kann, ist MacGyver. Und selbst der benötigt dazu mindestens noch einen Bindfaden und ein Kaugummi oder dergleichen. Wir brauchen also einen realen MacGyver. Dann klappt es auch, nur mit einem Kugelschreiber für eine andere Welt zu kämpfen.

Ich sagte, dies sei eine Petition. Und das ist sie. Nicht für besseres Wetter, mehr Regenüberdachungen oder wohlriechende Schwebebahnen. Dies ist eine Petition für sinnvolle Petitionen und mehr Verstand. Konzentrieren wir uns doch mal auf die wichtigen Dinge. Und dann verändern wir selbst die Welt. Analog und Offline.

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