Ausgabe 11, März 2014

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Das ungesäuerte Brot – eine leichte Kost?
Über die Nähe von Mazzotfest und letztem Abendmahl

Unser Mann in Israel Till Magnus Steiner

Als ich vor zehn Jahren erstmals nach Israel kam, um dort meinen Zivildienst zu leisten, war das Frühstück eine Qual. Wieder und wieder gab es das gleiche labbrige Weißbrot; bis eines Morgens Mazzot auf dem Tisch lagen: dünne, ungesäuerte Brotfladen, die an Knäckebrot erinnern. Auf die Frage, was dieses Brot sei, erhielt ich die Antwort: „Das ist das Brot der Juden für Pessach“.

Das heutige Judentum feiert Pessach – oft auch Pascha genannt – entsprechend der biblischen Überlieferung als eine Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, wie er im Buch Exodus erzählt wird. So heißt es in der Einheitsübersetzung der Bibel zum Beispiel im Buch Deuteronomium, Kapitel 16 „Achte auf den Monat Abib und feiere dem Herrn, deinem Gott, das Paschafest; denn im Monat Abib hat der Herr, dein Gott, dich nachts aus Ägypten geführt“. Zu dem Fest gehört gemäß den Versen 3 und 4, dass die Israeliten sieben Tage lang keinen Sauerteig zubereiten sollen und stattdessen nur ungesäuertes Brot essen dürfen. Der Text bezeichnet die Mazzot, die ungesäuerten Brote, als „Brot des Elends“ und das Essen der Mazzot wird als Erinnerung an die Errettung Israels aus Ägypten erklärt. So findet sich in anderen Bibelstellen, z. B. im Buch Exodus 23,15, auch die Bezeichnung dieses Festes als „Fest der ungesäuerten Brote“.

Das Pessachfest war lange Zeit ein Opfer- und Wallfahrtsfest. Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 nach Christus verlagerte sich die Feier ins Familienhaus. Heute ist Pessach ein siebentägiges Familienfest, das mit einem Seder (dt. Ordnung), einem liturgischen Essen beginnt. Beim Seder spielt das ungesäuerte Brot eine herausragende Rolle; der Familienvater hebt die Mazzot während der Feier empor und spricht: „Dies ist das Brot der Armut, das unsere Väter im Lande Ägypten aßen. Jeder, der hungrig ist, komme und esse. Jeder, der bedürftig ist, komme und feiere Pessach.“ Die zerbrochen Mazzot symbolisieren das Pessachopfer, das eigentlich am Tempel darzubringen ist. Als ich das erste Mal zu einem Seder eingeladen war, ertappte ich mich dabei, dass ich bei den Worten des Familienvaters in meinem Kopf die Einsetzungsworte hörte, die der Priester in der Eucharistiefeier spricht: „Nehmt und esst alle davon; das ist mein Leib, der … .“

Der Seder, wie ihn das heutige Judentum feiert, ist eine Entwicklung des rabbinischen Judentums und der liturgische Text, die Haggada, wird traditionell Rabbi Jehuda HaNasi (gestorben 217 n. Chr.) oder Rabbi Nachman bar Jakob (gestorben 320 n. Chr.) zugeschrieben. Jesus selbst hat keinen Seder gefeiert. Doch für Christen sind die heutige jüdische Sederfeier und die heutige christliche Eucharistie-/Abendmahlfeier inhaltlich eng miteinander verbunden, da laut Lukasevangelium das letzte Abendmahl ein Pessachmahl war. In Lukas 22,15 spricht Jesus: „Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen.“ Im Johannesevangelium hingegen stirbt Jesus Christus am Kreuz, während im Tempel das Pessachopfer geschlachtet wird; das Abendmahl findet hier vor dem Pessachfest statt (Johannes 13,1-2 und 19,14). In allen Evangelien ist der Tod Jesu eng mit dem Pessachfest verbunden (siehe 1 Korintherbrief 5,7).

Der theologische Unterschied, ob Jesus sein letztes Abendmahl als Pessachmahl gefeiert hat oder eben nicht, hat in der Kirchengeschichte zu heftigen Debatten geführt, und erreichte im sogenannten Azyma-Streit seinen Höhepunkt. „Azyma“ bedeutet auf griechisch „ungesäuert“. Während die armenisch-orthodoxe und die römisch-katholische Kirche bis heute in der Eucharistiefeier ungesäuertes Brot verwenden, wird im byzantischen Ritus der orthodoxen Kirchen gesäuertes Brot verwendet; dieser Unterschied führte im Jahr 1054 dazu, dass der römische Kardinal Humbert von Silva Candida den Patriarchen von Konstantinopel, Michael I, aus der Kirche ausschloss („exkommunizierte“), da dieser die Meinung vertrat, dass für die Eucharistiefeier gesäuertes Brot verwendet werden dürfe. Dieser Streit gehört zur Vorgeschichte des morgenländischen Schismas, der Trennung von katholischer und orthodoxer Kirche.
Beide christlichen Sichten haben ihre Berechtigung: Das ungesäuerte Brot erinnert die Christenheit an die Wurzel des eigenen Glaubens, die Befreiung des Volkes Israels aus Ägypten als Handlung Gottes; und das gesäuerte Brot bietet sozusagen einen Vorgeschmack auf den Himmel, wie es in Matthäus 13,33 heißt: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit dem Sauerteig … .“

Als ich zurück in Deutschland war, fielen mir beim ersten Einkauf die Mazzot im Brotregal auf. Es war September. Auf meine Frage an eine Verkäuferin, warum hier Mazzot angeboten werden, las sie mir vor, was auf der Packung stand: „Das ideale Brot für leichte Kost“. Ich dachte an „das Brot des Elends“, an „nehmt und esst“ – und kaufte mir lieber ein Schwarzbrot.

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