Ausgabe 11, Dezember 2014

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Rückenwind und Provokation
Dr. Stefan Vesper vom ZdK über das erste Jahr von Papst Franziskus


ZdK-Generalsekretär Dr. Stefan Vesper nannte Franziskus einen „unbequemen Papst“, für die Kurie und die Gläubigen.

Text und Bild Tim Neumann

Im schlichten weißen Gewand tritt der 76-Jährige auf den Balkon, er trägt keine Mozetta, der Schulterkragen, der für höhere Geistliche in der Katholischen Kirche sonst üblich ist. Er winkt leicht, fast wirkt es schüchtern. Zu Beginn sagt er nur wenige Worte: „Fratelli e sorelle, buona sera“ – „Brüder und Schwestern, guten Abend“. Das reicht, um auf dem Petersplatz lauten Jubel auszulösen. Aus Kardinal Jorge Mario Bergoglio war Papst Franziskus geworden. Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. hatten die 115 Kardinäle im März 2013 den argentinischen Jesuiten als ersten Lateinamerikaner zum Papst gewählt.

Die Weltpresse gab Franziskus schon am Tag nach seiner Wahl viele Erwartungen mit auf den Weg: „Jesuitischer Anwalt der Armen“ (F.A.Z.), „kulturelle Brücke“ (Washington Post), „Eurozentrismus des Papsttums gebrochen“ (ZEIT). Das Time-Magazin sollte Franziskus wegen seiner „Kraft, die Welt zu verändern“ später sogar zur wichtigsten Persönlichkeit des Jahres 2013 ernennen. Die Erwartungshaltung an den Papst war und ist immer noch immens – unabhängig davon, ob es um Reformen innerhalb der Katholischen Kirche oder um gesellschaftspolitische Fragen geht.

Seit einem Jahr ist Franziskus nun Papst und die Frage bleibt, wie sehr Papst Franziskus mittelfristig und langfristig Kirche und Gesellschaft beeinflussen wird. Stellung nahm zu dieser Frage auch Dr. Stefan Vesper, der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ZdK. Der Zusammenschluss von Vertretern der Diözesanräte und der katholischen Verbände berät die Deutsche Bischofskonferenz in gesellschaftlichen, staatlichen und kirchlichen Fragen. „Papst Franziskus gibt uns Rückenwind – uns als gesellschaftspolitisch engagierten Katholiken“, sagte Vesper beim Neujahrsempfang des Dekanatsrats der Katholiken in Remscheid. „Wir Christen sind nicht Zuschauer, sondern Mitspieler“, laute eines der Leitworte des ZdK. Vesper forderte die Katholiken auf, sich politisch zu engagieren und Zeugnis zu geben, so lasse sich der Glaube in alltäglichen Fragen wie Ehe und Familie, sowie in langfristigen Themen wie Schutz des menschlichen Lebens, Asyl und Armut, entdecken und entfalten. Als Papst lebe Franziskus diese Umsetzung vor. Viele seiner Handlungen seien symbolisch und zeichenhaft: Er habe nach dem Konklave sein Hotelzimmer selbst bezahlt, sei mit den Kardinälen mit dem Bus gefahren, reiste nach Lampedusa, um den toten Flüchtlingen zu gedenken und er wohne immer noch im Gästehaus „Casa Santa Marta“ und nicht im Apostolischen Palast. Mit Beginn des Pontifikats habe sich diese Veränderung auch in Franziskus’ Auftreten gezeigt: bescheiden im weißen Gewand, ohne Pomp und Brokat. Noch bevor er den Menschen den Segen spendete, bat er seine Diözese von Rom, für ihn zu beten. Laut Stefan Vesper „deutete sich bereits hier jener grundlegende Stilwandel an“. Im Stil des Wohnens, im Verzicht auf Pomp sieht er „eine Suche nach Nähe, nach Zärtlichkeit im umfassenden menschlichen und spirituellen Sinn.“

So wie Papst Franziskus den Gläubigen Rückenwind gebe, sieht Vesper ihn gleichzeitig auch als Provokation. „Sein ganzer Stil, seine Haltung, seine Themen – das alles ist Provokation, eine gute Provokation.“ Diese richte sich zum einen gegen die Kurie: Papst Franziskus, damals noch Kardinal Bergoglio, machte seine Forderungen in einer Aufsehen erregenden Rede im Konklave deutlich. So sprach er von einer „kühnen Redefreiheit“, die in der Kirche gelten müsse, er kritisierte die Selbstbezogenheit der Kirche und forderte eine „dienende Kirche“, die aus sich heraus bis an die Ränder der Gesellschaft zu gehen habe.

„Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger“, schrieb Franziskus etwa in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“. Zum anderen provoziere Franziskus aber auch die Gläubigen. Franziskus fordere die Laien auf, sich stärker gegen Armut zu engagieren. „Wir dürfen uns nicht bequem in dieser Kirche zurücklehnen und sagen, der neue Papst wird es schon richten“, formulierte es Stefan Vesper. Auch sei die Weltkirche größer, als sie aus deutscher Sicht zu erfassen sei, weshalb alle Ansprüche und Überlegungen aus Deutschland und aus Europa immer in einen Weltbezug gestellt werden müssten. In diesem Sinne sei dieser Papst sowohl für die kirchlichen Ordensträger, als auch für die Laien ein „unbequemer Papst“.

Der entscheidende Aspekt sei jedoch, dass es nicht einseitig „um den Einfluss von Franziskus auf die Entwicklung von Kirche und Gesellschaft“ gehe, sondern genauso um „unseren Einfluss“ als aktive Christen, zog Stefan Vesper Bilanz. Er sieht die Laien in der Pflicht. Und rief sie dazu auf, sich von dem Mut, der Energie und Freude des neuen Papstes anstecken zu lassen; sich aktiv in Kirche und Gesellschaft zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen.

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