Ausgabe 10, Dezember 2013

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Hauptsache, es ist gesund!
Wenn der Ultraschall nicht nur Geschlecht, sondern auch Behinderung offenbart


Die Medizin arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, wie ein Leben sich aber entwickelt, kann niemand vorhersagen.

Text Janina Kusterka
Bild Christoph Schönbach

Sind Paare in freudiger Erwartung, kann ihre Freude schnell getrübt werden, wenn bei den vorgeburtlichen Untersuchungen Auffälligkeiten festgestellt werden. Die Sorge und die Ungewissheit, was mit ihrem Kind ist, treibt die werdenden Eltern fortan um – und von Arzt zu Arzt. „Man gerät in eine Mühle“, sagt Petra*, die zusammen mit ihrem Mann Jörg drei Kinder bekam. Eines haben sie verloren.

Das erste Kind ist immer etwas Besonderes. Auch die Sorge um das Kind ist angesichts der neuen Umstände, in denen sich nicht nur die Mutter plötzlich wiederfindet, vielleicht größer als bei den folgenden Kindern. Bei Petra und Jörg traf dies zu. Zwei Fingerglieder maß ihr erstes Kind, als die Nackenfalte gemessen wurde, eine sogenannte nicht-invasive pränatale Untersuchung, die ohne Geräte und Katheter auskommt. Wenige Zehntelmillimeter entscheiden dann, ob der Verdacht einer Chromosomenstörung besteht. Beim Ultraschall wollten die werdenden Eltern eigentlich nur ihr Kind sehen, doch die Messung zeigte eine Anomalie an. Petra und Jörg mussten von Pontius zu Pilatus laufen, um Gewissheit zu bekommen: Was ist mit unserem Kind? Erst eine Fruchtwasseruntersuchung brachte Klarheit. Mara, das kleine Mädchen in Petras Bauch, hatte Trisomie 18. Eine Genommutation, die bei Mara auch einen schweren Herzfehler zur Folge hatte.

„Viele Schulmediziner“, sagt Jörg, „sind mit einer solchen Situation überfordert.“ Auch die Eltern mussten erst lernen, mit der Nachricht umzugehen. Als dann endlich feststand, dass Mara Trisomie 18 hat, brachte dies auch eine Art Erleichterung mit sich. Endlich wussten Petra und Jörg, was mit dem Kind ist, worauf sie sich einstellen müssen, und dass sie noch Zeit hatten. Zeit, sich doch noch für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden zu können. Vorstellbar war dies für Petra jedoch zu keinem Zeitpunkt. Mara sollte ihre Zeit bekommen, wie kurz oder lang diese auch sein mochte. Nach 43 Wochen Schwangerschaft war für Mara der Moment gekommen, in dem sie versuchen musste selbst zu leben. Die Ärzte hielten sich bei der Geburt im Hintergrund, eine Hebamme half Petra bei der Entbindung. Mara war eine Totgeburt. Außerhalb von Petras Bauch konnte sie nicht überleben.
„Mara war so ein hübsches Baby“, erzählt ihr Vater. „Nach der Geburt sah sie aus, als würde sie uns allen einen Vogel zeigen und sagen: ‚Was habt ihr denn? Ich bin doch ganz normal.’“
Die Aufregung und die Diskussionen über das 18. Gen, das Mara zufällig gleich drei Mal hatte, schienen im Angesicht dieses kleinen Menschen plötzlich absurd.

Das zweite Kind

Petra wurde erneut schwanger. Weil es diesmal anders werden sollte, entschieden sich die beiden gegen die Nackenfaltenmessung. Sie wollten nicht wieder in eine Mühle aus Arztbesuchen, Untersuchungen und Diagnosen geraten. „Wir hatten die Faxen dicke von Pränataldiagnostik“, sagt Jörg.

„Die Wahrscheinlichkeit, gleich zwei Kinder mit Trisomie zu bekommen, ist etwa so hoch wie die auf einen Sechser im Lotto“, sagt Petra. Sie brachte einen Jungen zur Welt. Valentin ist gesund. Und Valentin ist behindert. Er hat Trisomie 21, das Down-Syndrom. Petra und Jörg hatten doch im Lotto gewonnen. Diesmal waren sie vor der Geburt nicht auf die Behinderung ihres Kindes vorbereitet. Das war für Petra jedoch kein großes Problem, wie sie sagt: „Ich hatte mit Valentin eine sehr glückliche Schwangerschaft. Diesmal war ich nicht in dieser Mühle gefangen.“

Hätten sich Jörg und Petra für die Nackenfaltenmessung entschieden, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Beim zweiten Kind mit Trisomie hätten sie vielleicht doch über eine Abtreibung nachgedacht. Der Druck von außen, die Schwangerschaft abzubrechen, sei größer geworden, erinnern sich die beiden. Nach der Diagnose, dass Mara ein behindertes Kind wird, hätten sie sich immer wieder rechtfertigen müssen, warum sie es dennoch behalten möchten.

Ein Dings zu viel

Bei Valentin blieb dies alles aus. Die Familie nahm ihn gut auf: „Er hat alle fünf Finger. Ist doch schon besser als beim letzten Mal“, sagten sie.
Valentin ist eine Bereicherung. Er ist jetzt fünf und besucht einen integrativen Kindergarten. „Wenn er nicht da ist, vermissen ihn die anderen Kinder“, erzählt Jörg. Nicht nur Valentin profitiere dort, er sei auch wichtig für die Gruppe.

„Wenn man trauert“, erzählt Jörg weiter, „spüren Kinder mit Trisomie das sofort. Manchmal sogar, bevor die Menschen es selbst bemerken.“ Diese sensiblen Antennen zeichnen auch Valentin aus. Er ist clever und versteht viel, auch wenn er bisher nicht spricht.
„Was heißt das, er hat ein Dings zu viel?“, fragte Jörgs Vater nach der Geburt. „Vielleicht haben wir alle eins zu wenig.“ Damit könnte Valentins Opa etwas Wichtiges erkannt haben. In unserer schnellen und rationalen Welt bekommen die Menschen vieles nicht mehr mit. Valentin zwingt seine Eltern, die Dinge von einer anderen Warte aus zu betrachten. Ihn genau wahrzunehmen, nicht nur um zu sehen, wo er speziell gefördert werden muss, sondern auch, um zu sehen, was er doch schon alles kann. „Wir denken nicht darüber nach, was alles fehlen könnte“, sagt Petra, „wir haben wenige Erwartungen und freuen uns über die kleinen Fortschritte. Es ist ein schönes Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom.“ Petra und Jörg geben Valentin die Chance, zu zeigen, was alles in ihm steckt.

Petra wurde ein drittes Mal schwanger. Diesmal entschied sich das Paar wieder für die Nackenfaltenmessung; die dann unauffällig verlief. Paula ist wie Valentin gesund auf die Welt gekommen. Paula ist nicht behindert. Was Paula so nebenbei lernt, dafür braucht Valentin etwas mehr Zeit. Manches wird er gar nicht lernen können. Die Sorgen der Eltern um ihre beiden Kinder unterscheiden sich dennoch nicht wirklich. Finden sie wohl Freunde? Was wird aus ihnen einmal werden? Petra und Jörg können sich vorstellen, dass Valentin später in einem integrativen Hotel arbeitet. „Das Leben wird zeigen, wie sich unsere Kinder entwickeln“, sagen sie. Und bleiben gelassen. Valentins Behinderung ist für sie Normalität. Wenn es so etwas wie Normalität denn überhaupt gibt. In anderen Ländern sei eine Behinderung viel normaler, sagt Jörg. In Deutschland seien Behinderte oft unsichtbar.

Alles schön?

Vielleicht ist die Diagnose, ein behindertes Kind zu erwarten, auch deshalb so schwer, weil nicht genug aufgeklärt und Behinderung nicht als eine Form von Normalität angesehen wird. „Pränataldiagnostik ist in Ordnung, solange alles gut läuft, denn es fehlt an Aufklärung, dass eigentlich nur nach Anomalien gesucht wird“, sagt Petra. „Das Wichtigste ist, die richtigen Ärzte zu haben, damit die Beratung menschlich stimmt. Auch, um zu wissen, was auf einen zukommt und damit umgehen zu können. Dann ist diese Form der Untersuchung sinnvoll.“ Jörg ergänzt: „Eltern müssen nach einer schweren Diagnose handeln können, sonst sind sie hilflos, und die Pränataldiagnostik ist für sie schwer zu verkraften.“

Paare sollten sich vor einer solch folgenreichen Untersuchung genau überlegen, was sie tun wollen, wenn Auffälligkeiten gefunden werden. Ihnen sollte bewusst sein, dass auch eine Abtreibung bedeutet, Abschied zu nehmen. Um das alles meistern zu können, bedarf es eines Netzwerkes.

Pränatale Diagnostik kann die Lebenswege eines Paares verändern. „Es ist, als plane man eine Reise nach Italien und kommt plötzlich in Holland an“, sagt Jörg. „Vielleicht auch in Spanien, auf jeden Fall werden die Erwartungen nicht erfüllt.“ Vorgeburtliche Untersuchungen scheinen so zu sein wie das Leben mit dem Down-Syndrom. Es ist nicht immer gleich. Es kann eine Chance und eine Bürde sein.
Bei einem vierten Kind müssten sich Petra und Jörg neu entscheiden, ob sie die Nackenfalte messen lassen. Jetzt wissen sie darauf noch keine Antwort. Bis es soweit ist, fahren sie alle gemeinsam zum Friedhof nach Köln. Auch Valentin und Paula wissen: hier besuchen sie ihre Schwester Mara.

* Namen von der Redaktion geändert

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